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In seiner 21. «WoZ»-Kolumne vom 23. März 2006 versucht José Maria herauszufinden, wie er mit Hilfe einer ominösen Pfeife ein kostbares Bernsteinhuhn anlocken kann. Er bläst und bläst auf dem kleinen Instrument, doch das Ding will keinen Ton von sich geben. Die Delikatesse lässt sich folglich nicht blicken und also gibt sich Maria schliesslich mit einer drei Pfund schweren Maispoularde zufrieden.
Schnabel eines Rebhuhns.

21. Das Rätsel der Pfeife («Die Jagd auf das Bernsteinhuhn»)

«Hierfür legst du dich ganz flach auf einen niedrigen Ast. Denn das Bernsteinhuhn riecht gänzlich horizontal - es nimmt nur wahr, was auf der Höhe seines Köpers ist. Die Indianer sagen, der Himmel des Bernsteinhuhns beginne unmittelbar über seinem Haupt. Und sie sagen: Wenn es dich in den Kniekehlen kitzelt, dann sind das die Götter des Bernsteinhuhns. Liegst du also da, so spiele einige Male ganz sanft auf der kleinen Pfeife - dann warte und verhalte dich still. Alsbald wirst du es im Busche rascheln hören, denn die erotische Erregung des Bernsteinhahns ist absolut - hört er das Pfeifen des Weibchens, dann verliert er jede Contenance. Wenn du ihn also mit weit aufgerissenem Auge aus dem Gestrüppe stürmen siehst, dann lasse noch einmal ganz leise deine Pfeife ertönen. Jetzt wird der Hahn in Erwartung des Huhns einen Kreistanz beginnen, bei dem er sich auf einem Bein wieder und wieder um die eigene Achse schwingt. So wird er sich, mehr und mehr torkelnd, dem Orte nähern, wo er das Huhn vermutet. Erst wenn der Hahn unter deinem Aste tanzt, dann schlage ihm mit einem gezielten Schwung deiner Machete den Kopfe ab. Und vergiss nicht, dass auch der Hoden und insbesondere der Kamm dieses Tieres eine wahre Delikatesse sind.»

So lautete die Jagdanleitung von Omèr Marie Edgar Lacanne, die ich unter seinen Notizen im National-Archiv gefunden hatte. Und ich hatte sowohl die Machete als auch die kleine Pfeife bei mir - also das vollständige Set für eine erfolgreiche Jagd auf das Bernsteinhuhn. Das Instrument zur Verlockung des Vogels bestand aus einem teilweise hohlen, roten Holzzylinder, in den sich ansatzweise eine Art Pfropfen aus Aluminium stecken liess. Der Alupfropfen endete in einem Ring und sah so aus wie ein kleiner Schnuller. Die zwei Teile waren durch eine Schraube miteinander verbunden. Das war ein schönes kleines Instrument - nur wie war es wohl zu spielen? Erst blies ich von der einen Seite her in die Flöte, wobei die Schraube in meinen Rachen hinein ragte - doch da kam kein Ton heraus. Dann beblies ich das Ding von der anderen Seite her über den kleinen Aluminiumring - doch auch so blieb es vollkommen stumm. Damit war ich mit meinem Flötenlatein eigentlich schon am Ende. So ein Instrument hat nun mal nicht mehr als zwei Seiten - und wie eine Querflöte sah das nicht aus. Trotzdem liess ich nichts unversucht: Erst bliess ich schräg von der Seite in die Höhlung zwischen den zwei Holzstücken hinein. Dann presste ich Luft durch das kleine Loch, in dem die Schraube steckte. Und schliesslich nahm ich das Ding auch noch ganz in den Mund - so dass lediglich noch der Aluminiumring zwischen meinen Lippen hervorstand. Ich sah aus wie eine Forelle am Haken. Doch die Flöte blieb stumm, die Verlockung des Vogels wollte nicht gelingen.

Das war ein dramatischer Rückschlag – vor allem auch für meine Recherchen über Leben und Werk des Omèr Marie Edgar Lacanne (siehe «WoZ» Nr. 30 + 31/05, Nr. 40/05, Nr. 4/06). Die Sache war nur insofern nicht gar so schlimm, als der Vogel trotz meiner verstummten Flöte bereits in seiner ganzen Pracht vor mir stand - oder vielmehr lag. Zugegeben: Ein stolzes Bernsteinhuhn war das nicht - aber immerhin eine fast drei Pfund schwere Maispoularde, ebenfalls ein stattlicher Vogel. Hätte er allerdings auf mein Pfeifen mit sexueller Erregung reagiert, dann hätte mich das wohl einigermassen irritiert. Denn erstens lag ich nicht auf einem Ast sondern stand mitten in meiner Küche - und zweitens war der Vogel tot, fehlten ihm Kopf und Federn. – Davon abgesehen schien er indes ganz in Ordnung. Also stecke ich die Pfeife in meine Hosentasche und legte die Machete weg, dieses Damoklesschwert aller Bernsteinhähne. Dann rieb ich das Tier mit unserem wunderbaren lemusischen Salz ein, gab ein wenig Öl dazu und schob es in den heissen Ofen. Ich öffnete die letzte Flasche Riesling, die ich noch von meinem Aufenthalt als Gastkünstler in der Schweiz übrig hatte, schenkte erst mir ein Glas ein und hielt mich dann vor dem Ofen bereit, die erhitzte Maispoularde mit ein wenig Wein zu bespritzen. Dabei fühlte ich mich einen Moment lang fast wie Lacanne auf seinem Ast. Wie tief der Jagdtrieb doch in uns schlummert - hoffen wir, dass er schöne Träume hat. Trotzdem hätte ich gerne gewusst, wie die kleine Pfeife zu spielen ist - schon aus sportlichen Gründen. Und vielleicht auch, weil ich eines Tages dann doch noch die Hoden und den Kamm dieses Dschungelgockels verkosten möchte – aus rein wissenschaftlichen Motiven natürlich nur.

Dieser Text von José Maria wurde erstmals publiziert in: «Die Wochenzeitung», 23. März 2006, Nr. 12 / S. 16.

Ein schönes kleines Instrument - nur wie ist es wohl zu spielen?
Pfeiffe aus Holz und Metall.