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In seiner 16. «WoZ»-Kolumne vom 26. Mai 2005 erinnert sich José Maria an an die Anfänge seiner Karriere als Künstler und Spezialist für Schweineporträts.
Karrikatur eines Schweins.

16. Der Schweineporträtist («Das Lärmen der Keiler»)

Zum Glück traf ich Simone. Denn ich wusste natürlich wieder einmal nicht, was ich denn noch über Kunst schreiben sollte. Ja über den neuen Papst oder den alten Weltfrieden, über Rinderlenden und Krautsalate, «Kost» da und «Logis» dort hätte ich einiges zu sagen gewusst. Aber über Kunst? «Mir fällt zu dem Thema einfach nichts mehr ein», seufzte ich eines abends «Chez Pruneau» während ich fingerdick Moutarde de Dijon auf ein Stück Weissbrot schmierte. Simone, deren Blick etwas irritiert zwischen dem Senftopf und meinem Mund hin und her glitt, nickte erst verständnisvoll, um mir alsdann durch meinen ersten dijonäsischen Schweissausbruch hindurch die Lösung meiner Probleme entgegen zu hauchen. «Schreib doch einfach über dein Leben. Zum Beispiel, wie es dazu kam, dass du Künstler geworden bist. So etwas interessiert die Leute.» Ich seufzte, nieste, schnitt eine Grimasse vollständiger Fassungslosigkeit und wusste: Sie hatte recht, das war ein Ausweg. Aber wie war es eigentlich dazu gekommen, damals?

Nun, es geschah, wie wohl bei so vielen Künstlern, sehr früh. Schon mit sieben Jahren merkte ich nämlich, dass ich ziemlich gut Schweine zeichnen konnte. Und also gab ich meinem Drang nach, wo auch immer sich die Gelegenheit dazu ergab: Ich zeichnete kleine, herzallerliebste Babyschweine und grosse, angsteinflössende Kampfeber, übermütige Ferkel und melancholische Keiler – auch Wollschwein, lustige Bache, Wildschwein und Fettsau beherrschte ich aus dem Effeff. – Man war sich allgemein einig: Ich war hochbegabt. Doch wie so viele, die unter dem besonderen Stern des Genies geboren sind, fühlte auch ich mich ständig getrieben. Und so geschah, was geschehen musste: Eines Tages nämlich, ich glaube die ersten Anzeichen traten etwa gleichzeitig mit meinem Stimmbruch auf, wurden mir die Schweine über. Und also beschloss ich, mich mit meinem virtuosen Stift an anderen Tieren zu versuchen. Die ersten Ergebnisse waren auch ziemlich vielversprechend – auf jeden Fall hatte ich kein schlechtes Gefühl dabei. Allein ich sollte mich täuschen. Mit jedem Tag wurde nämlich deutlicher, dass sich das Schwein wohl so leicht nicht würde überwinden lassen. Ich scheute keine Mühe: Mit Block und Bleistift rannte ich in den Tierpark. Ich sass stundenlang auf Höfen und in Ställen herum – bis die Knechte begannen, mir einvernehmlich zu zuzwinkern. Ich durchstreifte sämtliche Wälder und beobachtete die Gesamtheit der Enten, die sich am Strand beschnatterten. – Allein die Tiere wollten mir nicht recht gelingen. Meine Enten sahen aus wie langhalsige Fische, die Hirsche erinnerten mit ihren Geweihen eher an Hasen mit seltsamen Ohrenstützen – und von meinem Zebra behauptete jemand sogar, das sehe aus wie eine handgestrickte Socke, der man aus Versehen eine Überdosis Potenzmittel verabreicht habe.

Ich mühte mich redlich. Doch hinter all den lieblichen Tiergeräuschen, deren Verursacher ich vergeblich aufs Papier zu bannen suchte, war lauter und lauter das Lärmen meiner Keiler und Bachen zu vernehmen. Dem Schwein, so schien es, war nicht zu entkommen. Mein genialer Stift wollte nichts anderes zeichnen – ja es schien als werde mir die Mine weich, kaum wandte ich mich einem anderen Tierchen zu. - Anstrengung und Kummer liessen mich dünner und dünner werden. Freunde begannen sich Sorgen zu machen und ermahnten mich, doch besser beim Schwein zu bleiben. Die Lehrer sprachen mir ins Gewissen und manch tantenartige Bekanntschaft ermunterte mich, meine Begabung zu verwirklichen. Sie alle meinten es gut mit mir – und wahrscheinlich hatten sie auch alle recht. Ja sicher wäre vieles ganz anders gekommen, hätte ich damals die Schweinespur weiter verfolgt. Ich tat es nicht. Am Ende meiner Pubertät sagte ich mit Entschiedenheit Nein zum Schwein - und studierte anstatt dessen erst einmal Kunstgeschichte. Danach wurde ich Journalist und Künstler mit Neigung zum Konzeptuellen. Schwein oder nicht Schwein – das Zeichnen liess ich sein.

Und von mir aus hätte das auch noch lange so weitergehen können. Wieder einmal kam es jedoch ganz anders. Im Frühling des Jahren 2005 nämlich organisierte das Kunsthaus Langenthal eine Ausstellung mit dem Titel «Hyper-Drawing». Da hatte ich den Salat: Da ich zu diesem Zeitpunkt Gastkünstler in Langenthal war, musste ich nämlich irgendwie auf das Thema «reagieren». – Nun hatte ich zwischenzeitlich zwar gelernt, dass auch schlechte Zeichnungen gute Zeichnungen sind. Ja schlechte Zeichnungen werden oft sogar höher geschätzt als gute - gelten sie doch als echter, direkter, origineller. Ich wusste unterdessen, dass auch Zeichnungen von Zeichnern, die nicht zeichnen können, Zeichnungen sind - denn jeder ist ein Zeichner. Insgeheim hatte ich allerdings immer den Verdacht, dass dies wohl nur für Zeichner gelte, die eigentlich zeichnen könnten. Und das traf in meinem Fall nicht zu. Was blieb mir also anderes übrig als… eben. Und die Moral von der Geschicht? Wie wär‘s denn damit: Über Schweine lacht man nicht.

Dieser Text von José Maria wurde erstmals publiziert in: «Die Wochenzeitung», 26. Mai 2005, Nr. 21 / S. 17.

Siehe auch

Am Anfang war das Schwein – oder fast.
Karrikatur eines Schweins.