Schweinsfilet und Wurst im Wirsingblatt, geschmort in einer Speck-Wurst-Wein-Sauce mit Rosinen, Mandeln und Pinienkernen – ein Rezept zu Peter Polters Episoda 150228 Mallorca Península de Formentor
Zu den intriganteren Rezepten der mallorquinischen Küche zählt Llom amb col – ein Stück Schweinelende, das mit etwas Wurstmasse in ein Kohlblatt gewickelt und dann mit einer Sauce auf Weinbasis im Ofen geschmort wird. Die verschiedenen Wurstsorten (Sobrassades, Camaiot, Botifarró), die den Charakter der Speise wesentlich bestimmen, verdanken sich einer mindestens bis ins spätere Mittelalter, wahrscheinlich aber bis in die Antike zurückreichenden Tradition der Verarbeitung von Schwein auf den Balearen. Die feine Süsse des Gerichts aber und die grosszügige Verwendung von Sultaninen und Nüssen oder Kernen dürften sich dem Einfluss der arabischen Köche verdanken, die hier zwischen 902 und 1229 in der Medina Mayurka, wie Palma damals hiess, für die Statthalter des Emirats von Córdoba und deren Untertanen kochten.
Dass der arabische Einfluss auf die mallorquinische Küche in keinem der Kochbücher erwähnt wird, die den Touristen hier an allen Ecken und Enden angedreht werden, mag man als eine gastrohistorische Konsequenz der Reconquista ansehen. Man könnte den Umstand aber auch auf die Selbstverständlichkeit zurückführen, mit der die Balearen immer schon die diversen Einflüsse von aussen aufgenommen haben. Nicht zuletzt auch die der zahllosen Deutschen und Engländer, denen die Insel heute wenigstens zur Hälfte gehört – mental auf jeden Fall.
Wie bei allen berühmten Speisen gibt es Rezepte zu Hauff, die sich manchmal recht stark voneinander unterscheiden. Wir orientieren uns ungefähr an dem Llom amb col, das wir im Restaurant «Eu Centro» in Pollença im Norden von Mallorca gegessen haben. Dieses sympathische Lokal bietet noch weitere Spezialitäten der mallorquinischen Küche an: den Gemüseauflauf Tumbet zum Beispiel, ein Frit Mallorquí mit klein gewürfelten Eingeweiden vom Lamm, Schnecken oder Kaninchen mit Zwiebeln.
Das grosse Problem bei der Rekonstruktion von Llom amb col ausserhalb von Spanien sind die Würste. Die meisten Rezepte verlangen wenigstens nach einer, oft aber nach mehreren der für die Balearen so typischen, geradezu identitätsstiftenden Sorten. Ein Rezept auf der Seite des spanischen Fremdenverkehrsamtes etwa schreibt die Verwendung von Sobrassada, Camaiot und Botifarró vor. Diese Kunstwerke aus dem Schlachthaus der Balearen sind indes ausserhalb der Inseln nicht oder nur sehr schwer zu bekommen. Wir haben verschiedene Alternativen ausprobiert, zum Beispiel die in der Schweiz populäre Waadtländer Wurst mit Chili oder dann auch Salami piccante, sind schliesslich aber bei einer scharfen Chorizo und Blutwurst gelandet, die zusammen ein passables Imitat der mediterranen Schönheiten darstellen. Man kann das Gericht auch mit anderen Wurstsorten herstellen – wichtig ist dabei einfach, dass wenigstens ein Teil der Wurstmasse so weich ist, dass sie sich auf dem Wirsingblatt ein bisschen flachdrücken lässt.
Die zweite Schwierigkeit beim Entwickeln eines nachvollziehbaren Rezepts besteht darin, dass die Wirsing-Blätter je nach Kopf, den man erwischt, sehr unterschiedlich gross sein können. In grössere Blätter lassen sich natürlich auch grössere Fleischstücke einwickeln, was wiederum nach mehr Wurst verlangt etc. – auch die Kochzeiten müssen den jeweiligen Massen angepasst werden. Wir geben hier ein Rezept für mittelgrosse Kohlblätter wieder, das auf gut daumendicke Scheiben vom Schweinsfilet abgestimmt ist. Dies sollte eine Idee vermitteln, wie das Rezept grundsätzlich funktioniert – steht anders dimensioniertes Ausgangsmaterial zur Verfügung, dürften die entsprechenden Anpassungen intuitiv gelingen. Viele Rezepte geben auch Tomaten in die Sauce – dem Vorbild aus «Eu Centro» folgend verzichten wir darauf.
Llom amb col verströmt einen markanten Duft von Kohl und Speck. Im Mund ist das Schweinefleisch sehr präsent, geradezu ein wenig tierisch. Der Kohl verwandelt das Aroma des Filets so, dass es fast so etwas wie ein leichtes Fermentationsaroma bekommt. Die Blutwurst steuert eine erdige Note bei. Die Sauce schmeckt leicht säuerlich und süss, die Mandeln und Pinienkerne streuen nussige und leicht harzige Akzente ein. Moderne Feinschmecker mögen bemängeln, dass das Filet im Wirsingblatt meist keinen rosafarbenen Kern mehr hat. Llom amb col aber ist ein ländliches Gericht, das nicht à la minute zubereitet und serviert werden muss. Es schmeckt ja auch besser, wenn man es vor dem Essen ein wenig stehen lässt oder gar aufwärmt – allerdings lässt sich so natürlich kein rosafarbener Kern halten.
Unserer Meinung nach passen Salzkartoffeln sehr gut dazu – wenngleich «Eu Centro» die Wickel mit Pommes serviert.
Kochzeit 40 Minuten
6 Blätter Wirsing mit einem Durchmesser von 15 bis 20 cm
1 bis 2 TL Salz für das Blanchieren der Kohlblätter
300 g Filet vom Schwein, ein Stück aus der Mitte
1 Prise Salz für das Schweinsfilet
1 EL Olivenöl für das Anbraten des Fleisches
80 g weiche und scharfe Chorizo für die Pakete
1 EL Olivenöl für die Sauce
80 g geräucherter Bauchspeck in Würfeln oder Stäbchen
2 Zwiebeln (je 100 g), fein gehackt
50 g Chorizo für die Sauce, gehackt
3 dl Weisswein
3 dl kräftige Schweine- oder Hühnerbrühe
20 g Mandeln, in Stiften
50 g Sultaninen (50 g)
2 EL Pinienkerne (20 g)
1 TL Mandelblüten-Honig
100 g Blutwurst, in 2 cm breiten Würfeln
First Publication: 7-3-2015
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