Vom 1. November bis zum 15. Dezember 2004 findet in den Sälen des ehemaligen Grand Ritz in Santa Lemusa nunmehr bereits zum fünften Mal die BiDAC, die atlantisch-karibische Designbiennale statt. Dem Künstler José Maria ist es zu verdanken, dass die BiDAC anlässlich ihrer aktuellen Ausgabe auch eine Art Schaufenster im Kunsthaus Langenthal eingerichtet hat – als externer Beitrag zu der Ausstellung «Design? Kunst? Schnittstellen, Wechselwirkungen, Dialoge» (28. Oktober 2004 bis 30. Januar 2005) und als Teil des «Designers Saturday» am 6. Dezember 2004.
Ein Akt der Freiheit. Das Motto der fünften BiDAC lautet «Bricolibertinage». Jean-Paul Olivier, seit 2000 Direktor der BiDAC, betont in seiner Einführung zum Thema, dass er seine «Wertschätzung einer Praxis des Bastelns» keineswegs als Glorifizierung jenes «wilden Denkens» verstanden wissen wolle, wie es Claude Levi-Strauss definiert habe – entsprechend gehe es ihm auch nicht darum, den «Bricolage-Designer als den edlen Wilden» zu verherrlichen. «Was mich an der Bricolage interessiert, ist der Freiheitsanspruch, der sich darin äussert. Der Bricoleur erschafft sich seine Welt aus jenen Dingen, um die er nicht bitten muss, die er sich auch nicht erhandeln muss - und überwindet dabei spielend die Grenzen aller Disziplinen. In einem Akt der Freiheit greift er in die Welt der Dinge ein, er verändert Aussehen und Funktion der Gegenstände je nach seinem Wunsch - mehr Missbraucher als Verbraucher, eben Bricolibertin».
«Fication». Die aktuelle Ausgabe der BiDAC ist in drei Kapitel gegliedert: «Fication», «Modification» und «Defication». In der Abteilung «Fication» (eine Art Verkürzung aus dem Wort farbrication) werden Gegenstände präsentiert, die aus Recycling- oder Abfallmaterialien hergestellt wurden. Aus einer Werkstatt in Sasselin stammt zum Beispiel eine Muskatreibe, die aus einer ehemaligen Bonbon-Dose geschaffen wurde – wobei die Nüsse gleichzeitig in der Dose aufbewahrt werden können. Dasselbe kleine Atelier produziert auch Weingläser aus Flaschen, die erst in der Mitte auseinandergesägt und dann so wieder zusammengeschweisst werden, dass der ehemalige Flaschenhals nun als Stil funktioniert. Einen Kerzenhalter mit Namen «Mustard Swing», gebogen aus einer ausgequetschten Tube Senf, hat ein Designer von Barbados beigesteuert.
«Modification». In der Abteilung «Modification» trifft man auf allerlei Dinge, denen neue und oft erweiterte Funktionen zugewiesen wurden. Ein gutes Beispiel ist hier «Citron chaud» - ein Projekt, das ®ob®ob aus Santa Lemusa eigens für das Shuttle-Taxi entwickelt hat, das in Langenthal am «Designers Saturday» die Gäste vom Bahnhof ins Kunsthaus bringt: Inspiriert von den typischen Rasta-Mützen und angeregt von der Vorstellung, in der Schweiz sei es immerzu eisig kalt, stülpt er nicht nur dem Chauffeur, sondern gleich auch noch dem Citroën-Oldtimer eine wärmende Mütze über – natürlich in karibischem Blau. – Eine Modifikation anderer Art hat Simon Charmière vorgenommen, der unter dem Titel «Swiss Peaks» ein «eher langsames Videospiel» präsentiert: In einem Einmachglas platziert er, quasi als Berge, die markanten Zacken einer Toblerone-Schokolade sowie eine von Maden befallene Kakaostange aus Martinique. Indem man mit den Fingern gegen das Glas schnippt, kann man versuchen, die kleinen Würmchen aus der karibischen Kakaostange auf die Schweizer Toblerone-Berge herabfallen zu lassen – ein «touristisches Takeover», wie Charmière das nennt. – Eine nationale Modifikation anderer Art hat eine auf St. Lucia domizilierte Firma vorgenommen, die unter dem Label «Ericssohn» Gesundheitssandalen verkauft – mit dem Zusatz «Designed in Switzerland». Dokumente dieser schwedisch-schweizerischen Verwechslungskomödie werden als Anekdote am Rande der Schau präsentiert.
«Defication». In der Abteilung «Defication» schliesslich gibt es Gegenstände zu sehen, die durch einen gezielten Eingriff von jeder praktischen Funktion befreit worden sind. Das Büro gofar, ein junges Designer-Label aus Sentores, präsentiert hier zum Beispiel ihren «Nike Cabriolet» – eine feurigrote Sportsocke der Marke «Nike» mit einer abtrennbaren Spitze. Ebenfalls aus dem Laboratorium von gofar stammt «Chocoladidas» – ein kleiner Turnschuh der Marke «Adidas», bis zum Rand mit Schokoladencreme gefüllt. «Das Design, die Qualität und die Vermarktung der Produkte von ‹Adidas› oder ‹Nike› ist in fast jeder Beziehung perfekt», sagen die vier jungen Frauen von gofar: «Wir aber machen das Perfekte noch perfekter, indem wir es unbrauchbar machen». Der symbolische Wert dieser Dinge, Inkunabeln unserer westlichen Konsumwelt, wird dadurch jedenfalls in fast schon absurde Höhen gesteigert. - Aus einem nicht ganz unähnlichen Geist heraus hat José Maria seinen «Manzoni light» geschaffen - eine grau getönte Flasche, von der Form her eindeutig als Coca-Cola-Flasche zu identifizieren, auf der mit Filzstift «Manzoni light» geschrieben steht. Eine augenzwinkernde Anspielung auf Manzonis Dose mit «Merde d'artiste» und auf die international doch sehr verschiedenen Logos des globalen Limonaden-Herstellers – ein «formal-sprachlicher Rülpser zwischen Designers Shit und Caca-Colo», wie José Maria etwas enigmatisch meint.
Helvetische Interpretationen. Die diversen karibischen Gegenstände werden durch Designartikel ergänzt, die aus einem europäischen Alltag heraus geschaffen worden sind – auch als helvetische Interpretationen einer karibischen Geisteshaltung. So hat etwa Marianne Burki, die Leiterin des Kunsthauses, einen in Buenos Aires angefertigten Ascher beigesteuert; Brigitte Jost, verantwortlich für Ausstellungstechnik, hat einen Krebs in eine Pet-Flasche gesperrt; und Kunsthaus-Assistentin Eva Inversini zeigt das «Karibianidische Lächeln» - eine Maske, die zu guter Laune zwingt.
First Publication: 10-2004 (vormals PJ080)
Modifications: 24-3-2009, 17-6-2011