Im Mai realisiert José Maria ein gemeinsames Projekt mit der Berner Künstlerin Andrea Loux, das im Rahmen der Ausstellung «Räume Reflexionen – Cécile Hummel, Andrea Loux, Véronique Zussau» (15. Mai bis 6. Juli 2003) im Kunsthaus Langenthal gezeigt wird. Andrea Loux ist mit ihren sogenannten «Einpassungen» bekannt geworden. Im Rahmen dieser Arbeiten dringt die Künstlerin in das Gefilde von bestimmten Personen vor, passt ihren Körper dort in eine Kiste, einen Schrank, ein Regal oder ein anderes Möbelstück ein und photographiert sich dabei mit Hilfe eines Selbstauslösers.
Diesen Zyklus wollte Andrea Loux im Regenwald von Santa Lemusa weiterführen. Doch in dem dichten Grün fanden sich nirgends Lücken, in die sie ihren ganzen Körper hätte einpassen können. Also musste sie sich erst in eine Haarlocke ihrer selbst verwandeln, um so in Orchideenblüten Platz zu finden. José Maria ist ihr in den Wald gefolgt, hat sie bei ihren Einpassungen photographiert und sie vor der immer hungrigen Zunge der Sambal-Kröte beschützt. Andrea Loux: «Als ich, komprimiert als Haarknäuel, in der Orchideenblüte sass, kam mir das Bilderbuch ‹der Däumling› in den Sinn: Da sitzt der daumengrosse Junge im flaumigen Ohr des Pferdes und flüstert ihm den richtigen Weg ein. Dasselbe habe ich auch versucht...»
Die Bilder, die dabei entstanden wurden im Rahmen der Ausstellung präsentiert und im Katalog abgedruckt. Im Katalog zur Ausstellung wurde ausserdem ein Briefwechsel zwischen Andrea Loux und José Maria publiziert, aus dem hier einige Auszüge wiedergegeben sind.
Liebe Andrea Loux,
[…] Als ich heute morgen auf meiner Terrasse sass und in deinem Dossier blätterte, ist etwas Seltsames passiert: Ich habe gerade diese «Einpassungen » studiert, die du irgendwo in den Schweizer Bergen realisiert hast, da ist eine schillernd blaue Eidechse vom Dach gefallen - mitten auf dein Dossier. Das kleine Tier hatte ziemlich genau die gleiche Grösse wie du auf den Fotos. Es passte also quasi auch in die verschiedenen Schränke und Schubladen hinein, die du da ausgefüllt hast. Das war eigenartig, denn es wirkte ein wenig als hätte ein Wesen aus der realen Welt seine Grösse an die Welt in deinen Bildern angepasst - als hätte es sich «eingepasst». […]
Mit herzlichen Grüssen
José Maria
Lieber José Maria,
[…] Wegen deiner Eidechse... Die Überlegung gefällt mir – es ist von der anderen Seite her gedacht, eine Art Umkehrung der «Einpassung». Durch die fotografische Verkleinerung, passt sicht das Mobiliar der Eidechse an – da findet eine Wechselwirkung von An- und Einpassung statt. – Über den Begriff der «Einpassung» habe ich mich kürzlich schon mit Samuel [Herzog] unterhalten, der den Terminus «Anpassung» ins Spiel gebracht hat. Bei meinen Einpassungen spielt der Aspekt des «Anpassens» sicher auch eine Rolle – schliesslich suche ich mir in bestehenden Strukturen meine Einpassungsorte. Doch Kern und Ursprung liegen woanders: es handelt sich eher um ein Suchen nach Übereinstimmung. Es fällt mir immer wieder auf, dass auch aussergewöhnliche «Räume» sich ideal zu meinem körperlichen Massstab verhalten. […]
Kürzlich habe ich bei meinem leinen Neffen eine interessante Beobachtung gemacht: Zu seinem Geburtstag bekam er eine Puppenstube geschenkt - einen Bauernhof. Beim Erkunden der Puppenstube wollte er unbedingt selber hineingehen und versuchte, seinen Kopf da hineinzustecken. Ich kann dieses Verlangen sehr gut nachvollziehen – und er war auch richtig enttäuscht und zornig, als er realisierte, dass er in diese Miniaturwelt nicht einzusteigen vermag. […]
Bis bald, herzliche Grüsse
Andrea Loux
Liebe Andrea Loux,
[…] Ich habe über deine «Orte der Übereinstimmung » nachgedacht. Und mir ist in den Sinn gekommen, dass ich etwas ähnliches von meinem Umgang mit dem Essen kenne. Wenn mein körperliches Bedürfnis (Hunger) und die Möglichkeit (etwas zu Essen) mit der nötigen Aufmerksamkeit zusammenkommen, dann gibt es auch da Momente der Übereinstimmung […]
Wenn du dich zum Beispiel völlig auf den Verzehr eines Stück Brotes konzentrieren kannst, dann verschwindet die Welt um dich herum und macht einer anderen Welt Platz, die sich ganz aus deiner Beschäftigung mit dem Brot ergibt, die sich aus diesem Moment heraus definiert. […]
Das hat es mich auf den Gedanken gebracht, dass deine «Orte der Übereinstimmung» doch wohl auch etwas mit Glück zu tun haben. Wenn du das so beschreibst, dann tönt das jedenfalls schon nach Glück - nach einer Art von Geborgenheit auch, in einer Welt, die gleichermassen real ist wie auch das Ergebnis deiner Imagination. […]
Dein
José Maria
Lieber José Maria,
[…] Du hast von Glück gesprochen im Zusammenhang mit meinen Einpassungen: Das stimmt... es hat wirklich etwas mit Glück zu tun: sowohl mit Glück «haben», wenn ich unverhofft einen idealen Einpassungsort finde, wie auch mit glücklich «sein», dem Zustand, wenn ich eingepasst bin. Da werden alle Antennen, Arme und Beine eingezogen, die Aktivität und Aufmerksamkeit wird nach Innen gerichtet. Der Rahmen ist gegeben, mein Handlungsspielraum ist begrenzt – diese Reduktion und Vereinfachung hat etwas sehr Befreiendes.
Herzliche Grüsse
Andrea Loux
First Publication: 5-2003 (vormals PJ046)
Modifications: 12-3-2009, 17-6-2011