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Still aus dem Video «A Piece of Paradise», das HOIO in Juodkrantė zeigt.

Juodkrante - A Piece of Paradise

Im Frühling 2005 nimmt HOIO an einer Ausstellung in der Galerie von Juodkrantė auf der Halbinsel Neringa in Litauen teil. «On Travel» lautet der Titel dieser Schau, die Elona Lubytė aus Vilnius kuratiert (15. April bis 15. Mai 2005). HOIO präsentiert in einem separaten Raum eine Installation mit Videoprojektion, die ein Paradies in Stücken auf Reise schickt: «A Piece of Paradise».

Die Besucher betreten den Raum durch eine Türe mit einem Schild, auf dem «Take a Piece of Paradise» geschrieben steht. Dschungelgeräusche dringen ihnen entgegen – Wassertropfen, entfernt das Rauschen eines Flusses, der Gesang von Vögeln, das Zirpen von Insekten und das seltsame Gurgeln von Fröschen. Auf die Rückwand des Raumes ist per Video das gemalte und etwas kitschige Bild eines Urwaldes mit Fluss projiziert. Die Szene ist unbewegt und doch scheint es (wegen der technisch bedingten Bewegung des Videobildes) als flösse das Wasser vor sich hin und als bewegten sich die mächtigen Bäume und exotischen Blumen ganz leicht im Wind. Von Zeit zu Zeit zischt auch tatsächlich etwas durch diese Landschaft - so schnell jedoch, dass es sich nicht identifizieren lässt. Dann aber, nach einigen Minuten, fliegt mit ruckartigen Bewegungen ein prächtiger Papagei ins Bild, verweilt einige Sekunden in der Luft, um sogleich mit einem frechen Pfiff wieder davon zu sausen. Bei dem paradiesischen Vogel handelt es sich um eine Spielzeugfigur, die sichtbar mit Hilfe eines dünnen Fadens durch das Bild geführt wird.

Am Boden vor der Videoprojektion sind auf einem Stück Papier die Teile eines Puzzles ausgelegt. Mitten drin liegt wieder ein Schild mit der Aufschrift «Take a Piece of Paradise». An den Farben dieser Puzzleteile können die Besucher vielleicht erkennen, dass es sich beim kompletten, aus 1500 Teilen bestehenden Puzzlebild wohl um dieselbe Szenerie handeln könnte wie bei der Videoprojektion. Vielleicht nehmen sie ein Stück des Puzzles mit und stecken es in ihre Hosentasche.

Ziel vieler Reisen ist eine Art Paradies: eine Insel, ein Palmenstrand oder eben ein tropischer Regenwald. Doch auch in anderen Zusammenhängen wird das Bild des Reisens oft mit Paradiesesvorstellungen verknüpft. So betrachten etwa viele Religionen das Leben als eine Reise, deren längerfristiges Ziel immer eine Art von Paradies ist. – In der für Juodkrante geschaffenen Installation von HOIO werden diese Verhältnisse sozusagen umgekehrt: Sind die Ausstellungsbesucher doch eingela den, ein Stück Paradies zu nehmen und mit diesem Teilchen in der Tasche ihre Lebensreise fortzusetzen. So wird hier also das Paradies selbst auf Reisen geschickt.

Im Prinzip könnte auch jemand die Puzzleteilchen zusammensetzen und dieses Paradies so gleichsam realisieren. Wahrscheinlich aber würde das Bild nie ganz komplett, da bestimmt schon jemand ein Stückchen weg genommen hat. – Das Paradies ist eben eine kollektive Idee, eine Hoffnung, eine Metapher. Man könnte sagen, dass wir alle ein Stück der Idee des Paradieses in uns tragen. «A Piece of Paradise» gibt diese Situation modellhaft wieder. Das Stück Paradies in unserer Tasche schafft auch eine Art Verbindung zu anderen Menschen, die ein anderes Stück Paradies mit sich herumführen. Und also wird das Paradies, metaphorisch gesprochen, gleichsam grösser, wenn wir mit anderen Menschen zusammenkommen. - Will man diesen Gedanken weiterführen, so könnte man «A Piece of Paradise» als die Umkehrung eines berühmten Zitats von Jean-Paul Sartre verstehen: Anstatt «L'enfer c'est les autres» («Die Hölle, das sind die anderen») müsste es hier dann heissen: «Le paradis c'est les autres».

Im Anschluss an Juodkrante wird die Installation im Antanas Moncys Museum von Palanga gezeigt. Das Projekt wurde von der Fondation Glissant grosszügig unterstützt.

«A Piece of Paradise» - Installation in der Galerie von Juodkrantė.

First Publication: 4-2005 (vormals PJ083)

Modifications: 24-3-2009, 4-11-2011