Im Rahmen seiner Recherchen zum kulinarischen Glück («Le Bonheur») veranstaltet HOIO am 19. März 2006 ein Experiment in Basel. Im Verlauf einer guten halben Stunde werden einer Versuchsperson 26 verschiedene Speisen vorgesetzt – in alphabetischer Reihenfolge von A wie Asparagus bis Z wie Zucchini. Die Versuchsperson wird aufgefordert, in Gedanken aus jeder einzelnen Speise das Glück herauszukitzeln – nach dem Leitsatz: «Es ist zwar nur Mozzarella – aber es macht mich glücklich».
Denn haben nicht das Essen wie auch das Glück mit einem Ideal zu tun, das nie erreicht werden kann – das absolute Glück, die totale Speise? Trotzdem macht das Essen doch oft auf eine Weise glücklich wie sonst nichts auf der Welt - auch wenn es «nur Mozarella» ist. Kommt das Glück beim Essen vielleicht auch dadurch zustande, dass sich die Idee der absoluten Speise in sämtlichen Esswaren finden lässt, egal ob es sich um einen Kanten alten Brotes handelt oder um den feinsten Kaviar vom Beluga-Stör? Ist somit nicht jedes Essen auch ein Versuch, den Zustand des absoluten Glücks zu erreichen? Und wenn ja: Warum sollte sich etwas von diesem Glück nicht auch in Form eines Alphabets erfassen lassen? Das Experiment wird auf Video aufgezeichnet, mit erklärenden Untertiteln versehen und erhält den Titel: «It's only Beluga – 26 Attempts to Achieve Happiness».
Gewöhnlich werden Menus meist vorwiegend nach geschmacklichen Kriterien komponiert – was aber geschieht, wenn man Speisen in der Abfolge eines Registers oder Lexikons zu sich nimmt? Schlägt die Lust irgendwann in Ekel um? Wiesehr stören sich einzelne Kombinationen? Welche neuen geschmacklichen Erfahrungen kommen dazu? Inwiefern haben unsere gängigen Menuabfolgen (etwa Fisch - Fleisch – Käse - Süsses) mit Luststeigerung zu tun – und inwiefern sind das kulturelle Konventionen? Was geschieht mit jenen, die beim Essen zusehen? Werden sie hungrig? Werden sie ungeduldig? Welche Schlüsse ziehen sie aus der Art und Weise, wie sich die Versuchperson da durch das Alphabet futtert? Können sie sagen, wann es ihr schmeckt und wann sie sich überwinden muss? Sind sie neidisch, haben sie Mitleid oder empfinden sie die essende Person mit der Zeit gar als widerwärtig?
Beim Versuch, das kulinarische Glück in alphabetischer Form zu erfassen, hat sich HOIO von verschiedenen Experten beraten lassen. Ihre Kriterien und Argumente haben die Zusammenstellung des Alphabets bestimmt. Nicht Einfachheit war das Ziel, sondern ein möglichst grosser Reichtum an Assoziationen.
Seinen ersten ‹Ausseneinsatz› erlebt das Alphabet im Mai 2006 in Genf: Mit Hilfe von Fotos der einzelnen ‹Buchstaben› schreibt HOIO «attitudes – espace d'arts contemporains» auf die Aussenmauer der Institution - einen Schlüssel zu dem Alphabet liefern das Journal («le journal» no. 28, Mai – Juli 2006) oder die Website des Kunstraums. Vielleicht auch eine Anregung, der oder dem Geliebten zum Geburtstag ein Menu vorzusetzen, mit dem sich ihr Name oder ein feuriges Liebesversprechen in die Tiefen des Leibes schreiben lässt.
First Publication: 3-2006 (vormals PJ115, PJ117, PJ121)
Modifications: 26-3-3009, 5-11-2011