Pinot noir* gilt als eine hochsensible Rebe, die anfällig für Krankeiten ist und einen besonders sorgfältigen Umgang verlangt. Die Trauben haben eine dünne Haut und bekommen leicht einen Sonnenbrand. Im Gegenzug zu diesen geradezu menschlichen Schwächen hat Pinot noir die Fähigkeit, noch die kleinsten Differenzen des Terroirs in seinem Aroma auszudrücken. Laut Robinson sehen die meisten Weinproduzenten der Welt deshalb die Herstellung eines feinen Pinot noir als den «ultimativen Test» an.
Synonyme. Pinot noir kommt unter zahlreichen Synonymen vor - die bekanntesten sind bei uns Auvernat, Blauburgunder, Spätburgunder, Burgunder, Clevner, Cortaillod, Morillon, Noirien, Orléanais, Pinot nero, Savagnin noir. Wobei Morillon, Noirien und Auvernat als historische Namen von Pinot noir gelten.
Herkunft und Geschichte. Der Ursprung von Pinot noir ist nicht bekannt. Es wird immer wieder behauptete, die Traube sei aus einer wilden Traube (Vitis vinifera subsp. silvestris) gezüchtet worden – allerdings konnten laut Robinson noch keine Beweise dafür erbracht werden (vergleiche Pinot). Pinot noir ist auf jeden Fall eine sehr alte, wahrscheinlich aus dem Burgund stammende Rebsorte. Ihr Anbau ist laut Weinland Schweiz seit dem 4. Jahrhundert nachweisbar. Die Urform soll schon vor dem Einmarsch der Römer heimisch gewesen sein. Ab dem 10. Jahrhundert wurde das Benediktinerkloster Cluny zum Mittelpunkt des burgundischen Weinbaus – es verfügte dank Schenkungen über die besten Lagen. Erstmals erwähnt wird Pinot (noir) 1375 als Herzog Philippe le Hardi «6 queues et 1 poinçon de vin de pinot vermeil» nach Belgien senden liess, um seinen Auftritt als Diplomat dort vorzubereiten. In Deutschland wird Pinot noir erstmals 1470 in Hattenheim erwähnt – unter seinem deutschen Synoym Klebroth: «Item 1 firtel Clebroit wyngart.» In der Schweiz wird Pinot noir erstmals 1766 in Cortaillod und 1775 in Auvernier erwähnt – hier unter dem Schweizer Synonym Salvagnin. Jancis Robinson diskutiert in «Wine Grapes» ausführlich die verschiedensten Hypothesen zur Herkunft von Pinot noir.
Charakter der Rebe. Pinot noir ist eine eher schwierige Traube. Sie treibt früh aus, ist daher anfällig Frühjahrsfrost und Verrieselung, auch neigt sie zu früher Reife. Pinot noir wächst gut in gemässigten Klimazonen und fühlt sich auf kalkhaltigen Lehm-Böden wohl. In heissen Regionen reift die Traube zu schnell, ausserdem schrumpfen die dünnhäutigen Beeren rasch. Oft bildet Pinot noir zu viele kleine Trauben aus. Ein zu hoher Ertrag reduziert die Qualität in besonderem Mass. Die Pflanze reagiert sensibel auf Klimaschwankungen sowie auf die verschiedensten Parasiten oder Erreger und bildet schnell einmal Krankheiten aus – insbesondere ist sie betroffen von: Echtem und Falschem Mehltau, Rotem Brenner, Botrytis, ausserdem ist sie bei Rebzikaden beliebt. Weinland Schweiz schreibt: «Bei keiner anderen Art der Vinifera spielt die genetische Zusammensetzung eine so grosse Rolle. Die Selektion des Klons ist deshalb sehr wichtig.»
Charakter des Weins. Weine aus Pinot noir sind je nach Terroir und Ausbau eher weich, leicht, einfach und fruchtig – oder aber kräftig, körperreiche und komplex. Vor allem in Kalifornien produzieren Spitzenerzeuger einen reichhaltigen, dunkelfarbigen und kräftigen (bis 17% Vol.) Pinot noir. Die meisten Weinbauern aber versuchen eher, etwas von der «schwer fassbaren Delikatesse» der Traube einzufangen, wie Robinson schreibt. Viele Pinot noir können jung getrunken werden, nur die besten Weine verlangen nach einer langen Lagerung. Grosse Weine aus dem Burgund können zunächst sehr harsch und verschlossen wirken – einige brauchen zehn bis zwanzig Jahre, um sich zu entfalten. Jung kann Pinot noirnach Kirschen (rote und schwarze Süsskirsche, Weichselkirsche), Himbeeren und diversen anderen Früchten duften. Im Alter kann der Wein Aromen entfalten, die Robinson als «mulch-like notes» beschreibt, Noten von eingelegten Pflaumen, Wild, Leder und Unterholz, Trüffel und anderen Pilzen. Doch dabei liegt dem Wein immer eine gewisse Süsse zugrunde. Robinson: «In general, charm is one of Pinot noir’s great assets.» Die Alterung der Pinot-noir-Weine ist laut Weinland Schweiz «nur schwer vorauszusagen und somit riskant. Spitzenweine können jedoch sehr langlebig sein und entwickeln ausserordentlich komplexe Aromen. Im Allgemeinen verliert der Wein jedoch seinen Charme.»
Verbreitung. Das Kernland des Pinot noir ist zweifellos das Burgund – an der Côte d'Or ist Pinot noir die einzige zugelassene Rebsorte für Rotwein. In der Champagne wird Pinot noir (zusammen mit Pinot Meunier und Chardonnay) zu Schaumwein verarbeitet (die Champagne ist sogar stärker mit Pinot noir bestockt an als das Burgund). Ebenfalls angebaut wird Pinot noir im Elsass, in Sancerre, Menetou-Salon und der Touraine. In der Schweiz wächst Pinot noir vor allem im Wallis (Valais Pinot noir), am Neuenburgersee, in Zürich und in der Ostschweiz. Pinot noir wird weiter angebaut in Deutschland (Bodensee, Baden, Pfalz, Rheingau, Rheinhessen, Württemberg), Österreich (Burgenland), Italien (Südtirol, Lombardei, Aostatal, Piemont), England, USA (Kalifornien, Oregon), Kanada (Ontario, Niagara), Australien, Neuseeland, Moldawien, Chile und Argentinien. In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts gab es in den USA einen ausserordentlichen Pinot-noir-Boom als Folge des 2004 erschienenen Hollywood- Films «Sideways», in dem es um die herausragenden Qualitäten von Pinnot noir geht.
Mutationen und Klone. Es gibt mehr Mutationen von Pinot noir als von jeder anderen Traube. Im Sortengarten der Hochschule Wädenswil zum Beispiel werden mehr als zwanzig Pinot-noir-Klone gezogen. In Frankreich, wo hunderte von Mutationen in speziellen Instituten im Burgund und der Champagne aufbewahrt werden, wurden 43 Klone für den gewerblichen Anbau zugelassen. Nebst Klonen gibt es aber auch eigenständige Rebsorten, die aus Mutationen von Pinot noir hervorgegangen sind – die bekanntesten sind Frühburgunder, Pinot blanc, und Pinot gris (dazu mehr im Kapitel Pinot).
* Die genauesten und ausführlichsten Angaben zu Pinot noir finden sich in dem kolossalen Werk «Wine Grapes» (Kapitel Pinot noir) von Jancis Robinson, auf das wir uns hier weitgehend beziehen. Gute Information bietet auch die Pinot-noir-Seite von «Weinland Schweiz» sowie die Seite der Association Nationale Interprofessionnelle des Vins de France, kürzer ANIVIN de France.
Lange waren uns die meisten Weine aus Pinot noir schlicht zu leicht – ausserdem gab es da ein bestimmtes Aroma, das uns bei der Verkostung etwa von Pinot noir aus dem Wallis immer wieder irritiert hat (wir haben versucht, es am Beispiel der Cuvée de la Garde Suisse aus Sion zu beschreiben).
Irgendwann haben wir dann für uns entdeckt, dass das zarte Bouquet einer guten Flasche Pinot noir ein Erlebnis eigener Art vermittelt. Stabilere Charaktere wie Syrah oder Cabernet Sauvignon blasen alle Türen unseres aromatischen Vorstellungsraums auf, dringen tief in ihn ein, füllen ihn aus – was ein eindrückliches Erlebnis sein kann. Pinot noir hingegen umsäuselt unseren Vorstellungsraum nur, und selbst wenn wir ihm alle Türen und Fenster geöffnet haben, dringt er doch nur selten ein – schaffen wir es aber, uns ganz darauf zu konzentrieren, wie er unsere Nase und unseren Gaumen umspielt, dann können wir Momente von sanfter Poesie erleben. Man muss in Stimmung sein, um einen Pinot noir wahrnehmen zu können, und man braucht Zeit, sind die Aromen doch oft filigran und flüchtig – da in einem Moment, weg im nächsten. Um die delikaten Äusserungen eines Pinot noir registrieren zu können, müssen wir gewissermassen die eigene Stimme senken – und das gelingt uns nicht immer gleich gut.
Bei Pinot noir stehen meist eher süssliche Früchte im Vordergrund, in der Regel Kirsche und Himbeere. Das Fruchtige, Offene und Freundliche wird indes oft von einem ganz leichten Gestank begleitet, einer trockenen Fäkalnote oder einem Modergeruch – vor allem wenn der Pinot nicht im Holzfass ausgebaut wurde. Ohne diese Trübung wäre die Frucht wohl etwas banal. Insgesamt hat das Aroma so etwas Unverfügbares – wie ein Gefühl aus einer anderen Zeit, das wir zwar spüren, aber nicht ganz verstehen. Es ist auch Möglich, dass dieser Eindruck mit dem irritierenden Aroma zusammenhängt, das wir eingangs erwähnt haben.
First Publication: 6-1-2014
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