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Flug KE 918, von Zürich nach Seoul

Szene 2

Maille war nach Dakar geflogen, wo er den Professor um Haaresbreite verpasst hatte. Er hatte in Moskau mit der ehemaligen Assistentin von Koslow gesprochen und auf der Chinesischen Mauer mit einem Schergen von Dr. Hing gekämpft. Er hatte sich von einem als Fischer verkleideten Offizier des chinesischen Geheimdienstes in die Irre führen lassen – und zuletzt gar im dunklen Wasser eines schwedischen Waldsees nach der Wahrheit gesucht. All dies aber hatte weder den Professor zurück gebracht noch zu einer Auflösung der ganzen Rätsel geführt. Und jetzt sass er im Flieger nach Korea – auf der Suche nach Tatjana, der Tochter von Koslow. Warum musste es Korea sein? Wieder ein anderes Ende der Welt? Umweltfreundlich war das auf jeden Fall nicht.

Tatjana, die uneheliche Tochter und einzige lebende Verwandte des Professors, hatte sich offenbar vor einem halben Jahr nach Korea abgesetzt – zum Entsetzen ihres Vaters. Nach Auskunft des Büros war Tatjana, wie konnte es anders sein, eine brillante Physikerin – an den verschiedensten Universitäten ausgebildet und von ihrem Vater mit dem letzten Schliff versehen. Klar, dass dieser Diamant der Wissenschaft auch eine wichtige Rolle im Rahmen der ORM spielte. Als «grosses» und, wie Mercier bei Gelegenheit angemerkt hatte, «besonders wohlgeformtes Ohr ihres Papas», reiste die junge Wissenschafterin ausserdem von einem Kongress zum nächsten. Auf einem Flug von Paris nach New York dann geschah es: Tatjana lernte einen Geschäftsmann aus Korea kennen, verliebte sich und reiste ihm bei nächster Gelegenheit nach.  

«Ihrem Vater hat sie Salomons Siegel geschickt», sagte Marie Soussent am Telefon.
«Salomons Siegel?»
«Das hat mir Mercier erzählt.»
«Ist das eine Drohung?»
«Laut Internet ein Stern aus zwei verschränkten Dreiecken. Tatjanas koreanischer Tiger auf jeden Fall hat eine Fabrik im Südwesten des Landes, etwas mit Kohl, Adresse folgt.»
«Hat der Mann Verbindungen zu Hing? Muss ich besonders vorsichtig sein?»
«Pass jedenfalls auf, wo du hintrittst: Koreanerinnen haben die schönsten Füsse der Welt.» Gäbe es einen Pulitzer-Preis für Missverständnisse – Marie hätte ihn wirklich verdient.