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Bangkok, am Maenam Chao Phraya

Szene 11

Maille war ein im Grunde zutiefst massloser Mensch – weshalb seine Welt aus vielerlei Regeln und Verboten bestand. Eine davon, eine der strengsten, betraf Torten und Kuchen aller Art – und insbesondere deren Verzehr am helllichten Tage. Für jemanden wie Maille, der sich täglich ein mehrstündiges Nachtessen gönnte, brauchte es tagsüber ein totales Tortenverbot – sonst drohte die völlige Verbirnung des Körpers, davon war der Sohn eines lemusischen Turnlehrers überzeugt. Und ein birnenförmiger Geheimagent war wahrscheinlich eine Beleidigung für Augen, die sich mehr und mehr an Körper gewöhnten, wie sie nur die Verbindung von Jugend, Diät und Kraftraum hervorbringen kann. Und eine Beleidigung wollte Maille nicht sein.

Da ihm diese Eitelkeit allerdings auch ein wenig peinlich war, kaschierte er sein drakonisches Anti-Torten-Gesetz hinter der Behauptung, Kuchen seien ihm schlicht zuwider – die verzweifelten Züchtigungsversuche der eigenen Verfressenheit kamen im Mantel einer Feinschmecker-Attitude doch auch gleich deutlich eleganter daher.

Allerdings war auch das noch nicht die ganze Wahrheit: Maille nämlich brauchte den Leerraum der Askese, dieses Befriedigungsvakuum, diesen Hunger, diese Sehnsucht nach Kalorien, nach Kaubewegungen, nach Salz, nach Zucker, nach Fett – so wie er das Völlegefühl brauchte, wenigstens einmal am Tag, diese Curry- oder Schweinsbraten-Schwangerschaft. Das schien ihm fast eine Art Raumgesetz, das Yin und Yang seiner Kutteln. Der Hunger, die Leere, das war die Freiheit, sich die verschiedensten Befriedigungen zu wünschen, auszudenken, zu ersehenen – das Völlegefühl war der Beweis für die Gefangenschaft im eigenen Körper, in der Schwerkraft. Das eine hing vom anderen ab, ein dialektisches Dilemma – wie das Verhältnis von einem Glas und seinem Inhalt, von einer Fähre und ihren Fahrenden.