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Ein Estrich-Speicher wie man ihn in vielen ländlichen Häusern auf Santa Lemusa findet.

Mari dé Pwa

Die Geschichte der Bohnen-Marie

In mondhellen Nächten erzählt man sich auf Santa Lemusa gerne die Geschichte der «Mari dé pwa», der «Bohnen-Marie». Die kleine Marie wurde in eine äusserst zahlreiche Familie hineingeboren. Da die Eltern arm waren, lebte sie bei ihrer Tante, einer verbitterten Jungfer, die immerfort Befehle durch die Gegend brüllte. Und wenn Marie bei der Hausarbeit auch nur der kleinste Fehler unterlief, dann wurde sie von dem alten Drachen zur Strafe sogleich auf den Speicher gesperrt. Dort standen allerlei unheimliche Säcke herum, in denen Reis, Bohnen und Trockenfrüchte aufbewahrt wurden. Von der Decke hingen Kalparik-Nüsse, die in dem Halbdunkel wie böse grinsende Schrumpfköpfe aussahen – und bei Regenwetter knisterte es unheimlich in einem grossen, mit Knoblauchzehen gefüllten Korb.

Eine Tages kam eine alte Bekannte der Tante zu Besuch – und Marie wurde auf dem Speicher vergessen. Es wurde Abend und es wurde Nacht, das kleine Mädchen sass da und in der Dunkelheit schienen aus allen Ecken des Speichers unheimliche Geräusche zu dringen. Aus lauter Angst begann Marie zu singen. Doch da geschah etwas Seltsames. Einige der Säcke nämlich, jene mit den Bohnen, begannen plötzlich über dem Boden zu schweben. Erschreckt verstummte Marie und da plumpsten die Säcke auch sogleich wieder auf die Planken zurück. Vorsichtig öffnete das Mädchen einen der Säcke und stimmte ganz leise ein Liedchen an. Tatsächlich begannen da die Böhnchen wie kleine Käfer zu fliegen – verstummte Marie, so prasselten die Leguminosen unverzüglich wie Hagelkörner auf den Estrichboden nieder.

Am nächsten Tag, Marie war unterdessen aus ihrem Gefängnis befreit worden, kochte sich die Tante als Mittagessen eine kräftige Bohnensuppe. Nach dem Mahl und nachdem sie Marie lautstark befohlen hatte, die Küche sauber zu machen, legte sie sich auf der Veranda zu einem Verdauungsschläfchen nieder. Marie beobachtete sie durch das kleine Fenster über dem Spültrog. Und als die Tante eingeschlafen war, begann sie leise zu singen. Wie zu erwarten, hob sich der mit Bohnen gefüllte Körper der alten Jungfer langsam aus dem Schaukelstuhl hoch und begann zu schweben. Marie sang weiter und die Tante flog höher und höher – irgendwann war sie nur noch ein kleiner Fleck ganz weit oben in der Luft. Doch Marie sang weiter, es wurde Abend und es wurde Nacht. Der Mond erschien am Himmel, hell und klar. Marie sang, bis sie sah, dass die Tante auf dem Mond gelandet war. Dann packte sie ihre Sachen zusammen und ging nach Hause. – Wer genau hinschaut, kann die Tante auch heute noch sehen, wie sie auf dem Mond herumfuchtelt und Befehle erteilt. Nur hören kann sie keiner. Dafür aber kommt ihr wenigstens die Ehre zu Teil, als erste Frau auf dem Mond gelandet zu sein.

First Publication: 8-2006

Modifications: 26-2-2009, 2-11-2011