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Ein geblähtes Segel unter blauem Himmel.

«Eine seltsame Wette»

Manche schon haben Millionen im Lotto, eine Jacht beim Roulette oder ein Pferd beim Poker gewonnen – France Duchamp aber dürfte die Einzige sein, die sich mit einer kleinen Jolle ein ganzes Restaurant ersegelt hat. 1989, mit knapp dreissig Jahren und einem abgeschlossenen Jurastudium in der Tasche, unternahm die Französin eine mehrwöchige Reise durch die Karibik – und gelangte so eines Tages auch nach Santa Lemusa.

von France Duchamp

Ich baute mir eine winzig kleine Hütte am Strand der Anse des Naxes, tauchte mit Schnorchel und Harpune nach Fischen, liess mich von Sonne, Sand und Wind verwöhnen, schrieb an einem erotischen Roman - und fühlte mich insgesamt wie ein weiblicher Robinson Crusoe. Mein Leben war perfekt - oder zumindest fast: Der schöne Freitag nämlich wollte und wollte nicht auftauchen – vielleicht ahnte er, dass ich ihn sofort verführt und vielleicht gar geheiratet hätte. Man denkt sich eben nicht ungestraft Tag für Tag erotische Situationen aus. Mein Zustand wurde schlimmer. Irgendwann beschloss ich, mein kleines Strandkloster zu verlassen und ging nach Tivinis, um dort meinen edlen Wilden zu finden. Wahrscheinlich sah ich nach zwei Wochen ohne Dusche aus wie ein Huhn im Salzteig – ich fühlte mich jedoch grossartig und unglaublich verführerisch.

Was sich in meinen Blicken verfing, war mir allerdings durchgängig zu wenig wild oder zu wenig edel und vor allem meistens deutlich zu alt. Auch hatte ich kaum noch Geld und so war mir sogar der Trost aus der Flasche verwehrt. Einen kleinen Drink allerdings leistete ich mir – und zwar in einer Bar nahe der Bootsanlegestelle von Tivinis. Während ich am Tresen stand und darauf wartete, den Rum endlich zu spüren, beobachtete ich drei Männer beim Kartenspiel. Sie waren schon ziemlich betrunken und laut. Auf dem Tisch lag eine beträchtliche Summe Geld, die dem jüngsten der drei Spieler zu gehören schien – im Moment auf jeden Fall. Sie schauten dann und wann eher scheu zu mir herüber, was sie mir fast schon ein wenig sympathisch werden liess. Irgendwann stand einer der zwei älteren Männer auf und schwankte zu mir an den Tresen. Er war ein grauhaariger Kerl mit einem kugelrunden Bauch, der wie ein behaarter Planet aus einer blauen Seidenhose ragte. Er trug ein Lederband mit einem silbernen Anker um den Hals und seine Füsse steckten in seltsamen Ledersandalen, die allem Anschein nach irgendeinmal rot gewesen waren. Er wirkte eigentlich wie ein ganz netter Kerl - doch ganz offenbar war er mit dem festen Vorhaben vom Spieltisch aufgebrochen, mich zu verführen. Zwar schien er mit jedem Schritt, den er auf mich zukam, weniger entschlossen – doch die Blicke seiner Spielkameraden im Rücken, konnte er nicht mehr zurück. Also lud er mich mit leicht zitternder Stimme zu einem Drink ein. Ich nahm an – denn erstens war ich immer noch völlig nüchtern und zweitens hatte ich vor diesem Dickerchen, das sogar etwas kleiner war als ich, nun wahrlich keine Angst.

Er war etwas beruhigt – allerdings wusste er offenbar nicht, wie er denn nun weitermachen sollte. Er bestellte sich ein Glas Cola, das er mit einem Zug in sich hineinschüttete, rülpste so diskret, wie das sein Körper erlaubte, und kramte dann ein völlig zerknittertes Foto aus der Brusttasche seines Hemdes hervor, die, wie ich erst jetzt bemerkte, prall mit Banknoten gefüllt war. Auf dem Bild war eine protzige Motorjacht mit dunkelblauem Rumpf abgebildet, die durch ein türkisfarbenes Wasser glitt – und am Ruder stand er selbst, ein Glas Champagner in der Hand und eine Kapitänsmütze auf dem runden Schädel. «Vielleicht haben Sie Lust, mal mit mir und meinen Freunden eine Runde um die Insel zu drehen», sagte er, immer noch mit leicht gebrochener Stimme, und wedelte sich dabei mit der Hand ein wenig Luft zu. Ich musste lachen. «Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich freiwillig einen Fuss auf deinen protzigen Kahn setze», sagte ich und fügte mit einem etwas kindisch klingenden Kichern an: «Da segle ich tausend Mal lieber mit einer Nussschale um die Insel». Das war unnötig unfreundlich – und der Alte tat mir fast ein wenig leid. Zu meiner Überraschung aber war er gar nicht beleidigt – im Gegenteil: Mein Widerstand schien seinen Sportsgeist zu wecken und mit einmal war seine Schüchternheit wie verflogen. «Sie kämen mit ihrem Boot wohl nicht einmal bis zu den Sufnîles» [kleine Inselchen vor Sentores], spottete er und sah mich, nun ganz Herausforderer, zum ersten Mal unvermittelt an: «Wollen wir wetten?».

«Was kannst du mir schon bieten», provozierte ich, nun wohl auch ein klein wenig beschwipst. Unterdessen hatten sich die zwei Spielpartner des Grauhaarigen dazu gesellt. Der Jüngste, ganz offenbar der Sieger ihres Kartenspiels, bestellte ein Fläschchen Drivayè und vier Gläser. Die Gegenwart seiner Freunde schien den Grauhaarigen zusätzlich anzustacheln. Er nippte an seinem Rum und überlegte. «Ich stelle meinen alten Flying Fish [eine gut vier Meter lange Knickspantjolle] zur Verfügung», warf der dritte Mann ein: «Sie liegt im Hafen von Port-Louis - mal sehen, ob sie es von da bis zu den Sufnîles schafft…» Der Grauhaarige nickte aufgeregt: «Wenn Sie das fertig bringen, dann können Sie bis an ihr Lebensende in all meinen Restaurants gratis essen. Wenn nicht, dann fische ich sie mit meiner Jacht aus dem Wasser und sie begleiten mich auf einer Reise nach Miami, drei Wochen lang. Einverstanden?»
   «Wie viele Kneipen besitzt du denn», wollte ich wissen.
   «Ich habe dreizehn Restaurants und vier Hotels in der ganzen Karibik – ausserdem bin ich Teilhaber eines Hotelbootes», sagte er stolz. Ich sah seine Freunde an – sie nickten. 

«Ich hab noch eine bessere Idee», sagte ich und jetzt spürte ich den Rum ganz heiss und warm in meinem Kopf. «Wenn ich mit der Jolle um die ganze Insel segle, dann schenkst du mir ein Restaurant – wenn ich es nicht schaffe, dann stehe ich dir drei Monate lang zur Verfügung. Abgemacht?» – Ich war mir ziemlich sicher, dass er nun kalte Füsse bekommen würde. Und tatsächlich schien er keine rechte Lust mehr zu haben, sich auf eine Wette mit mir einzulassen. Doch da waren seine zwei Spielkameraden, die ihn gespannt beobachteten - und plötzlich wusste ich, dass er auf die Wette einsteigen würde. – «Warum auch nicht», lachte er schliesslich und streckte mir die Hand entgegen: «Wenn Sie es schaffen, dann überlasse ich ihnen mein Restaurant am Kap Domèn hier ganz im Süden der Insel. Es heisst ‹La Désirade› und steht im Moment gerade leer. Es ist nicht gerade ein Luxusrestaurant und etwas renovationsbedürftig – liegt aber dafür sehr schön auf einem Felsen. Ein Lokal mit Potenzial. Meine Freund hier sind Zeugen. Schaffen Sie es nicht, dann stehen sie mir ein Jahr lang zur Verfügung. Das scheint mir eine faire Wette.» 

Der Grauhaarige wusste um die Strömungen, die launischen Windverhältnisse und die gefährlichen Felsen rund um Santa Lemusa – und ich konnte in seinen Augen lesen, dass er sich im Geist bereits über die Reling seiner Jacht beugte, um meinen erschöpften Körper mit einem Siegerlächeln aus den Fluten zu fischen. Was er nicht wusste, war, dass ich fünf Jahre lang als Juniorin in der Laser-Klasse gesegelt war – und vier Jahre lang den Segelclub meiner Uni geleitet hatte.

Natürlich hatte ich dann auch keinerlei Mühe, mit der Jolle um die Insel zu kurven – ja es machte sogar ziemlichen Spass. Ich glaubte jedoch nicht, dass Louis Sisano, wie der Grauhaarige hiess, sein Versprechen tatsächlich halten würde. Er tat es. Und so war ich, vor zwei Tagen noch Bewohnerin einer kleinen Strandhütte, plötzlich Besitzerin eines Restaurants auf Santa Lemusa.

Die Übergabe wurde in Port-Louis bei einem Notar vertraglich geregelt – am Tag selbst meiner kleinen Segelfahrt. Und Sisano verliess, ein Lächeln auf den Lippen, noch am selben Abend mit seiner Jacht die Insel. Man musste es zugeben: Er war zwar ein dicker, aber ein guter Verlierer.

Ich allerdings wusste nicht recht, was ich mit einem Restaurant auf Santa Lemusa anfangen sollte. Es stellte sich heraus, dass der jüngste der drei Spieler aus Tivinis, Sohn eines Schulfreundes von Sisano, eigentlich Koch war – und offen für Neues. Er begleitete mich in den Süden der Insel und gemeinsam inspizierten wir meinen Gewinn. Der Schuppen war tatsächlich ziemlich heruntergekommen – aber er lag ganz herrlich auf einem Felsen direkt am Kap Domèn.

Jean-Louis Berger, wie der junge Koch hiess, war sehr interessiert und überaus charmant. Er hatte ein raffiniertes Picknick, ja eine ganze Menufolge zubereitet, die er mir auf der Terrasse des Restaurants auf einem Campingtisch mit weissem Tischtuch servierte – zu meinen Füssen das glitzernde Meer. Bei solchem Licht betrachtet hatte Jean-Louis durchaus gewisse Qualitäten eines Freitag. Und so kam es, dass wir uns kurz nach dem Petersilienhuhn auf dem Boden des Restaurants wälzten – auch eine Art Vorstellungsgespräch.

Jean-Louis hatte tausend Ideen, wie man das Restaurant renovieren und für das Publikum interessant machen konnte. Auch half er mir dabei, die nötigen Kredite zu bekommen. Ohne ihn hätte ich mich wohl nicht auf ein solches Abenteuer eingelassen. Und er brachte mir die grundlegenden Regeln des Kochens bei – zum Glück, wie man sagen muss. Denn schon im zweiten Jahr unseres Betriebs verliebte er sich in eine Kellnerin, die ferienhalber bei uns jobbte – und brach wenig später mit ihr zu einer Reise nach Afrika auf. Mir hatte er beim Aufbau des Désirade geholfen – sie unterstützte er auf der Suche nach ihren Wurzeln. Er war eben eine echte Helfer-Natur.

Der Betrieb des Restaurants fiel mir erstaunlich leicht – und ich war auch von Beginn an ziemlich erfolgreich. Jean-Louis meinte zwar skeptisch, dass uns die Leute vor allem wegen der Geschichte besuchten, wie ich zu dem Restaurant gekommen war – «die wollen einfach sehen, wie jemand ausschaute, der eine Kneipe mit Hilfe eines Segelbootes gewonnen hat.» Wenn die Kunden jedoch wiederkamen, dann wohl wegen der Küche – zuerst wegen der französischen Delikatessen, die Jean-Louis zubereiten konnte. Später dann, als er auf Mission nach Afrika abgereist war, engagierte ich Pauline – eine Köchin aus Sentores. Pauline war ein echter Glücksgriff - ebenso zuverlässig wie experimentierfreudig und ausserdem eine wunderbare Freundin. Mit ihr zusammen entwickelte ich das, was ein Gastro-Kritiker des «Leko» kürzlich als die typische «Slalomküche» des «Désirade» bezeichnet hat.

Heute lebe ich in einer kleinen Wohnung über meinem Restaurant – mit einem ganz wunderbaren Blick über das Kap Domèn. Manchmal allerdings, wenn ich auf andere Gedanken kommen will, dann ziehe ich mich für ein paar Stunden, manchmal für ganze Tage, auf jenen Strand an der Anse des Naxes zurück, wo meine Geschichte mit Santa Lemusa begann. Es ist kaum zu glauben, aber die kleine Hütte aus Zweigen, die ich damals errichtet habe, sie steht immer noch. Und manchmal denke ich dann, dass ich ihn eines Tages vielleicht doch noch zu Ende schreiben werde: den erotischen Roman, den ich damals begann.

Ein weisses Segel mit der Aufschrift 1811.

Siehe auch

First Publication: 10-2007

Modifications: 17-2-2009, 30-9-2011