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Die Wild Turtle im «Hong Xing Seafood Restaurant» in Guangzhou.

Schildkröte

Die Schildkröte stand früher auf dem Speisezettel so mancher Küche – auch in Europa, wo die Sumpfschildkröte als Fastenspeise beliebt war. Eine allzu intensive Jagd auf sie führte indes dazu, dass sie im Verlauf des 19. Jahrhunderts beinahe ausstarb. Ein ähnliches Schicksal erlitten die Riesenschildkröten vor allem im Indischen und Pazifischen Ozean. Da sie relativ zäh sind und auch ohne viel Pflege lange überleben, waren sie ein ideales Frischfleisch für die Segelschiffe, die oft viele Wochen lang auf den Meeren unterwegs waren. Heute sind Schildkröten in den meisten Ländern der westlichen Welt kein kulinarisches Thema mehr, ja sie gehören fast überall zu den verbotenen Nahrungsmitteln. Ob ganz zu Recht oder nur teilweise, soll hier nicht diskutiert werden. Wer Schildkröten kosten will, muss nach Asien reisen. Denn vor allem im südlichen China, werden auch heute noch Millionen von Tieren jährlich verzehrt – darunter vermutlich auch stark bedrohte Arten.

Wild Turtle in einem Becken des «Hong Xing Seafood Restaurant» in Guangzhou.

Verkostung in Gunagzhou

Es wird wohl nicht dazu kommen, dass wir auf diesen Seiten Schildkröten-Rezepte anbieten. Wir wollen jedoch wenigstens die Erfahrungen wiedergeben, die wir bei der Verkostung von Schildkröte gemacht haben. Unsere allererste Schildkröte essen wir am 24. Februar 2011 in der südchinesischen Metropole Guangzhou (Kanton) in einem Lokal namens «Hong Xing Seafood Restaurant», das an der Yanjiang Zhonglu über dem Pearl River liegt und uns wie ein wahrer Tempel der Meeresfrüchte vorkommt. Das Lokal hat verschiedene Wasserschildkröten im Angebot, die Thai-Turtle oderAlligator-Turtle heissen und in Aquarien herumplantschen. Aus einer europäischen Logik heraus (je teurer, desto nachhaltiger produziert) wählen wir das kostspieligste Exemplar: eine Wild Turtle zu 40 Franken das Kilo. Wahrscheinlich haben wir damit gerade die falsche Entscheidung getroffen, denn einer chinesischen Logik zufolge heisst es wohl eher: je teurer, desto seltener und exotischer – und also machen wir jetzt möglicherweise einem Exemplar den Garaus, dessen Art bedroht ist. Zu spät, schon greift sich der Koch eines der Tiere aus dem Becken. Das Wesen wehrt sich und schnappt nach der Hand, die es hält – was für ein ungewöhnliches Verhalten für eine Schildkröte, wahrscheinlich haben wir tatsächlich eine Ninja-Turtle erwischt.

Ein Fleisch wie vom Ochsenschwanz

Die Zubereitung des etwa 600 g schweren Exemplars dauert lange, wenigstens eine halbe Stunde – auf Empfehlung des Hauses essen wir das Tier braised, also «geschmort». Was uns schliesslich in einem Tontöpfchen serviert wird, lässt sich durchaus noch als unsere Schildkröte erkennen, die offenbar ohne allzu viel System wohl mit einem Küchenbeil kreuz und quer in grössere Stücke zerhackt wurde – vermutlich nachdem man irgendwelche Eingeweide entfernt hat, die ja wohl auch Schildkröten haben. Wir finden in dem Töpfchen auch den Kopf und den Schwanz sowie Panzerteile und Stücke, die möglicherweise einst als Flossen oder Füsse dienten. Das Tier wurde in Soyasauce mit ein paar Pilzen, Gemüsestreifen und Gewürzen (Sternanis und Zimt auf jeden Fall) geschmort. Zu unserer Überraschung hat das Fleisch, das mehrheitlich an kleinen Knochen sitzt, eine Konsistenz, die an lange geschmortes Rindfleisch erinnert – vielleicht am ehesten an Fleisch vom Ochsenschwanz. Es ist dunkelbraun bis tiefrot und kaum faserig. Dazwischen gibt es immer wieder grössere Fettstücke, an denen ebenfalls verschiedene Knorpel und Knochenstückchen hängen. Nach anfänglichen Versuchen, die Stücke logisch zu zerlegen, gehen wir schliesslich dazu über, sie einfach in den Mund zu stecken und dann alles auszuspucken, was sich nach Knochen oder allzu viel Fett anfühlt.

Viel Arbeit – viel Lohn

Einzelne Stücke lassen sich klar als Teile des Panzers erkennen, der gewissermassen aus zusammengewachsenen Rippen zu bestehen scheint. An der Innenseite dieses Panzers haftet eine feine Fleischschicht, die uns besonders zart und aromatisch vorkommt. Auf der Aussenseite des Panzers sitzt eine dünne Schicht, die aus Fett und Knorpel zu bestehen scheint, und sich ebenfalls mit den Zähnen abschaben lässt. Zwischen dem Panzer und dem restlichen Körper hat das Tier eine etwa 0.5 cm dicke Schicht, die aus einer Mischung aus Fett und Knorpel zu bestehen scheint und von der Konsistenz her ein wenig an das Fleisch auf Hühnerfüssen erinnert. Diese Schicht ist bräunlich, wirkt leicht durchsichtig und weist auf einer Seite eine dünne, schwärzliche Haut auf. Diese Stücke schmecken sehr voll und angenehm, fast wie ein sehr festes Muschelfleisch – auch wenn man sich wegen des möglichen Fettgehalts ein wenig Sorgen macht. Insgesamt macht uns diese Schildkröte viel Arbeit bei Tisch und ist auch ziemlich fett – zwischendurch allerdings wird man mit Fleischstücken belohnt, die schlicht phantastisch sind.

Wild Turtle braised, so wie sie im «Hong Xing Seafood Restaurant» serviert wird.
Ein Stück Fett (links), der Kopf und ein Stück der festen Schicht mit der schwarzen Haut (rechts).
Kampfbereit: Man ist nicht unfroh, dass man das Tier nicht unbedingt selbst erlegen muss.

Systematik & weitere Namen

Die Schildkröten (Testudinata, Testudines) sind eine Ordnung der Reptilien (Reptilia). Man unterscheidet mehr als 300 Arten mit über 200 Unterarten, die in sehr unterschiedlichen Lebensräumen zu Hause sind – vom Meer bis zur Wüste.

First Publication: 25-2-2011

Modifications: 9-10-2011