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Ein Fischhändler an der Rue Sidi Isshak, etwas südlich der Medersa Ben Youssef, im Herzen der Medina von Marrakech. (Montag, 14. März 2016)

106. Flasche

Zurück ins Märchen

Cahors Clos Triguedina 2011

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach sauren Zwetschgen, hochprozentiger Schokolade und Brennsprit. Die Bewegung wischt Frucht und Schokolade weg, zurück bleibt ein kleines Stäubchen in der Luft. Ich dekantiere die Flasche und lasse die Karaffe ein paar Minuten stehen. Jetzt ist etwas mehr Frucht da. Getrocknete Pflaumen auf dem Schulspaziergang, im Rucksack erwärmt. Im Mund hat der Wein eine gut eingebundene Säure und einiges Tannin, das sich kräftig an die Zähne und Schleimhäute legt. Da ist nur wenig Süsse. Von innen riecht der Cahors nach Kakao und sauren Kirschen, nach einem trockenen Schokolade-Kuchen. Ich habe den gleichen Wein aus dem Vorjahr (98. Flasche) ähnlich widerspenstig in Erinnerung. Die Karaffe ändert daran nur wenig. Auch eine Ledernote ist spürbar – aber die schwingt vielleicht noch von diesem Morgen nach.

Ich komme eben von einem kurzen Ausflug nach Marrakech zurück, wo ich mitten in der Medina gewohnt habe, nur ein paar Schritte vom dampfenden Theater der Jemaa el-Fna entfernt. Ich war zuletzt im Jahr 2000 in der Stadt – und manches hat sich seither verändert, namentlich ist das Verkehrschaos auf dem Platz verschwunden. Jenes laute Geschiebe rund um einen Podest mit fuchtelndem Polizist, das ich damals sogar in einem unbeholfenen Super-8-Film verewigt habe. Meine Frau Alexandra hatte mir eine alte Kamera geschenkt, mit der ich technisch kaum zurecht kam. Allerdings kam ich auch mit meiner Frau nicht zurecht – oder vielmehr mit dem Umstand des Verheiratetseins, in den sich meiner Eltern zu jener Zeit tüchtig einmischten. Also eigentlich kam ich vor allem mit meinen Eltern nicht zurecht – nicht nur technisch allerdings.

Doch kehren wir in die Medina zurück. Damals wie heute hat mich der Umstand irritiert, dass sich diese Suks genau so präsentieren, wie man sich das als Mitteleuropäer vorstellt – wie aus 1001 Nacht nämlich. Vielleicht sind Auge, Nase und Ohr so stark konditioniert, dass meine Wahrnehmung nicht anders kann als in den Klischees baden zu gehen. Das ist schrecklich – und es ist auch ein bisschen schön. Schön im Sinne eines Märchens eben, das ein wenig mit den Realitäten versöhnt – wie ein gutes Glas Rotwein. Nur was tut man den Menschen an, wenn man sie als Teil eines Klischees wahrnimmt? Wofür bin ich verantwortlich? Woran sind die Einheimischen schuld? Warum soll man immer alles richtig verstehen? Leben manche Orte nicht fast besser im Modus des Missverständnisses? Und überhaupt: Gibt es eine akkurate Weise, diese Welt zu betrachten? Das sind einfach zu viele Fragen für diese Abendstunde.

Kehren wir also zurück ins Märchen. Es riecht immer noch nach Kakao. Mit der Zeit aber kaut man eine leicht metallische Note heraus. Es kommen mir jene trockenen Schokoladekekse in den Sinn, die alte Damen früher aus dem krümeligen Reich ihrer Blechdosen hervorgeolt haben – und die man aus Gründen der Höflichkeit einfach nicht ablehnen konnte. Der Cahors behält etwas Garstiges. Aber das ist eine Wohltat nach all den süssen Tunken, die ich in Marokko getrunken habe.

Getrunken am Montag, 14. März 2016 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Nicolas» in Paris (€ 16.60 im Februar 2016).

Nächste Flasche

Cahors Baldès Clos Triguedina

AOC, 2011, 14% Vol.

Cot (gemäss AOC-Regelung wenigstens 70%), Merlot und Tannat

Rotwein aus dem Südwesten (Frankreich), produziert von Jean-Luc Baldès in Puy-l’Evêque (auf Karte anzeigen). Vignerons depuis 1830.

First Publication: 15-3-2016

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