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Nichts wirkt so sauber und rein wie frisch gefallener Schnee – von diesem Chalet auf der Riederalp ist fast nichts mehr zu sehen. (Sonntag, 6. März 2016)

105. Flasche

Träumen unter Schnee

Cahors Clos La Coutale 2010

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach leicht säuerlichen Dörrfrüchten, Pflaumen und Kirschen vor allem, sie liegen in der Sonne. Daneben stehen ein Glas Schokolade und ein Glas Staub – auf einer frisch geöffneten Waschmaschine. Die Bewegung wischt zunächst alles weg, dann kehren eine junge Zwetschge und ein Stück alte Kernseife zurück. Im Mund ist der Wein zunächst fruchtig und sauer, schlägt aber dann gleich auch süsse Töne an, ein ungezuckerter Zwetschgenkuchen, auf den sich auch ein paar frische Johannisbeeren verirrt haben. Von innen riecht der Cahors säuerlich und dicht zugleich, nach den karbonisierten Weinbeeren auf einem Kuchen, der etwas zu lange im Ofen war – da schwingt auch eine leichte Fäkalnote mit.

Jetzt kommt mir eine Traumsequenz dieser Nacht wieder in denn Sinn. Ich war im Haus meiner Eltern in Riehen. Ich spürte den Drang, mich zu erleichtern und suchte die Toilette im Erdgeschoss auf – die war indes so stark verschmutzt, dass ich mich nicht hinein traute. Ich stieg also in den ersten Stock hinauf und ging dort in das Zimmer meiner Mutter. Da stand ein gewaltiger Thron, weiss und breit, dick mit Plastik, Papier und Watte gepolstert, verbunden, fast wie eine stark blutende Wunde. Ich setzte mich drauf und in dem Augenblick erst merkte ich, dass der Thron am Ende eines langen Arms befestigt war, der quer durch das Zimmer ragte. Dieser Arm setzte sich nun in Bewegung und liess mich auf meinem Sessel durch den Raum tanzen – dem Kopf einer Kobra ähnlich, die der Flöte ihres Beschwörers folgt. Nach einem ersten Moment der Überraschung entspannte ich mich und fand meine Schwünge durch die Luft recht unterhaltsam. Ich schaute aus dem Fenster auf einen grossen Rebberg. Die Stöcke waren bereits stark mit grossen, dunkelgrünen Blättern besetzt. «Gar nicht schlecht für den Monat März», dachte ich: «Der Winter ist unseren Breitengraden doch gar nicht so schlimm, wie man immer tut».

Ich wachte auf und blickte durch das Fenster des Schlafraums in einen weissen, völlig strukturlosen Himmel – darunter lagen nach dieser Nacht fast zwei Meter Schnee. Erst jetzt fällt mir auf, dass es in dem Traum, in dem ich doch zu Beginn so dringend musste, schliesslich gar nie ums Scheissen ging. Der Toilettenthron war sauber und rein wie der frisch gefallene Schnee rund um das Haus, in dem ich träumend auf ihm durch mein Elternhaus ritt.

Mit der Zeit nehme ich von aussen eine ledrige Note wahr – oder eine Idee von rohem Hirsch-Fleisch? Auch die Düfte in einem Hindu-Tempel kommen mir in den Sinn. Diese eher dunklen Töne werden von einer Blumenkind-Fröhlichkeit konterkariert, die der Wein immer wieder behauptet. Ein grosszügiges, facettenreiches Erlebnis – an diesem Wein ist folglich nur die Etikette übel, die einem die billigste Tunke erwarten lässt. Il faut se méfier des apparences – nicht nur bei den Toiletten, auch beim Wein.

Getrunken am Sonntag, 6. März 2015 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Geschenk, erhalten im Oktober 2015.

Nächste Flasche

Cahors Clos La Coutale

AOC, 2010, 13% Vol.

100% Cot (?)

Rotwein aus dem Südwesten (Frankreich), produziert von V. Bernese et Fils in Vire-sur-Lot (auf Karte anzeigen).

First Publication: 13-9-2015

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