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Ich wollte heute an meine Mutter denken, die vor genau einem Jahr gestorben ist, doch dann wurde mir ein kleiner Schweinskopf geliefert, der alles durcheinander gebracht hat. (Mittwoch. 10. Februar 2016)

102. Flasche

Absurdes Zusammentreffen

Cahors Chateau Lamartine Cuvée Particulière 2011

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach dunkler Kirsche und Schokolade. Mit dem Kreisen öffnet sich die Türe zu einem frisch geputzten Badezimmer, was die Früchte in den Hintergrund treten lässt. Im Mund ist der Wein etwas staubig, eher süsslich und leicht adstringierend. Von innen riecht er markant nach dunkler Schokolade, dezent nach Gewürznelke und nach Lagerfeuer – freundlich, einlullend.

Heute vor einem Jahr ist meine Mutter gestorben. Und ich habe mir den Abend reserviert, um an sie zu denken, um traurig zu sein, um das Jahr Revue passieren zu lassen. Doch dann wurde mir ausgerechnet heute ein kleiner Schweinskopf geliefert (das passiert auch mir nicht alle Tage), der alles ein wenig durcheinander gebracht hat und mich ganz schön auf Trab hielt, der gereinigt, von Borsten befreit und in Lake gelegt werden wollte. Vor einem Jahr hatte ich die gefalteten Hände meiner Mutter vor mir, ein Dreieck. Jetzt steht der Kopf des kleinen Ferkels auf dem Kühlschrank, kaum eine Armlänge von mir entfernt – ebenfalls ein Dreieck. Vor einem Jahr haben zwei Freundinnen den Leichnam meiner alten Mutter gewaschen – heute habe ich den Kopf des jungen Schweins gebadet. Tod – hie wie da. Als ich vor einem Jahr die Finger meiner Mutter berührte, erschrak ich darüber, wie kalt sie waren – und hatte nachher den Wunsch, mir die Hände zu waschen. Auch der Kopf des Schweins war kalt – ein gesteigertes Bedürfnis aber, mich zu säubern, verspürte ich nicht. Ein Satz von Antonius Anthus kommt mir in den Sinn: «Kann das Tote jemals lieblicher scheinen, als insofern es als essbar betrachtet wird?»

Ich wollte heute ganz still und alleine meiner Mutter gedenken – nun aber wird das Zusammensein mit der Erinnerung vom Kopf eines toten Schweins gestört, der auf meinem Kühlschrank thront. Was für ein absurdes Rendez-vous hat das Leben da gestiftet. Kann ich mich dagegen wehren? Kann ich das Schwein ignorieren? Den Todestag meiner Mutter? Die inakzeptablen Parallelen? Was wäre dadurch gewonnen?

Mit der Zeit trudelt eine frische Fruchtnote durch die Nase, sie liegt auf einem Alkohol-Bett und wird von einer dann und wann vorbeizischenden Madeira-Note konkurriert. Auch eine leicht pilzige Seite ist jetzt spürbar – und ein paar Blaubeeren, die sich mit der Schokolade um das Rampenlicht streiten.

Getrunken am Mittwoch, 10. Februar 2016 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Au Monde du Vin» in Saint-Louis (€ 12.30 im Januar 2016).

Nächste Flasche

Cahors Château Lamartine Cuvée Particulière

AOC, 2011, 14% Vol.

80% Cot, 20% Merlot

Rotwein aus dem Südwesten (Frankreich), produziert von Gayraud et Fils, vignerons à «Lamartine» in Soturac (auf Karte anzeigen).

First Publication: 13-9-2015

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