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Der Geschack der Sehnahischen Sechsfachsuppe basiert auf dem Röstaroma des Brotes, der Wein steuert bittere, die Zitrone säuerliche und der Majoran weihrauchartige Noten bei. (Zürich, Dezember 2015)

Sehnahische Sechsfachsuppe

Suppe aus Brot und Hühnerherzen, mit Butter, Weisswein, Majoran und Zitronensaft

Das nachfolgende Rezept haben wir mit leichten Modifikationen aus dem «Manuel de Cuisine» (S. 181) von Guy Baward entnommen. Es heisst dort einfach «une recette de Jean-Marie Tromontis» – genauer wird die Herkunft nicht erklärt. Wir können jedoch davon ausgehen, dass das Rezept in Zusammenhang mit einer Begebenheit steht, die Tromontis in einem Brief an seinen Arzt und Freund Emile Lazlo beschreibt und die Jean-Paul Sastre genauer untersucht hat («Inspiration et santé psychique – l'exemple de Jean-Marie Tromontis à Sehnah». In: «Revue historique», no. 79, 2012, S. 61-66.).

Tromontis hat in seinem Leben allerlei unternommen, um Schreibblockaden zu entkommen – vor allem auch diverse Reisen. Eine solche Tour führte ihn Mitte der 1890er Jahre nach Sizilien, wo er Giovanni Verga begegnete, dem Verfasser der «Cavalleria rusticana». Vergas «pathetischer Pessimismus» und seine «wirren Theorien» waren aber, wie Tromontis schreibt, «so fürchterlich uninspiriert, dass ich mich nach einem Ort zu sehnen begann, wo es keine Schriftsteller gibt.» Ein «Freund» versicherte ihm, dass auf dem unfernen Sehnah ganz bestimmt keine Poeten zu finden seien. Also bestieg Tromontis ein Postboot und brach zu der Insel auf – überzeugt, dass er hier zu «Geisteslust und Schreibfreude» zurückfinden werde.

Tromontis Optimismus sollte indes nicht von Dauer sein – schon Stunden nach seiner Ankunft auf Sehnah lähmte ihn eine «fürchterliche Indigestion», die bald in einen «fiebrigen Zustand» überging. «Also weiss ich nicht, ob ich erlebt oder geträumt habe, was ich dir nun erzähle. Ich war zu Gast auf einem Bauernhofe, der mitten in einem Zitrushain lag. Alles schien mir hier schneller zu gehen als sonst auf der Welt. Ich konnte den Zitronen beim Wachsen zusehen, der Majoran schoss haushoch auf, die Hühner rasten mit der Geschwindigkeit galoppierender Pferde durchs Gelände, die Kühe bewegten ihr Mundwerk beim Kauen so geschwind, dass man ihre Zähne klappern hörte. Das Brot war, kaum aus dem Ofen, schon trocken. Und der Landwirt trank am Morgen bereits seinen Feierabendwein. Die Bäuerin erklärte mir, dass die Hühner eben sechs Herzen hätten, die Kühe sechs Mägen, der Majoran sechs Lichtsüchte, der Ofen eine sechs Mal höhere Hitze, ihr Mann den sechsfachen Durst. Und die Zitronen, fragte ich verwundert. Die Zitronen, nun, die seien sechsfach inspiriert. Inspiriert? Ich solle nur erst ihre Suppe essen, ein altes Rezept der Sehnah-Küche, dann würde auch ich die Gedichte hören, versicherte sie mir und drängte mich zu Tische. Die Suppe bestand aus trockenem Brot, Hühnerherzen, Majoran, aus Butter der sechseutrigen Kühe, Feierabendwein und dem Saft der Zitronen. Sie war indes so rasch verzehrt, dass mein Darm sofort zu rebellieren begann und ich bald in einen sechsfach fiebrigen Zustand geriet. Man schaffte mich auf das nächste Postboot – ohne dass ich die Gedichte der Zitronen gehört.» 

In Abweichung vom Originalrezept geben wir hier zusätzlich eine Zwiebel bei, verwenden Hühnerbrühe statt Salzwasser und schmecken mit etwas schwarzem Pfeffer ab. Das Aroma der Suppe hängt sehr stark von dem Brot ab, das man verwendet – uns gefällt sie mit hellem Brot besser als mit dunklem. Viel hängt auch von der Frage ab, ob man das Brot vorgängig röstet (wie im Rezept empfohlen) oder nicht. Das Brot mag anfangs noch so hart erscheinen, durch das Kochen in der Suppe entwickelt es eine ganz weiche, herrlich schlabberige Konsistenz, die fast ein wenig fleischig wirkt.

Im Winter 2016 zeigt das Nouveau Musée Bienne eine Ausstellung über die Kultur der Insel Sehnah: «Habalukke – Schätze einer vergessenen Zivilisation» (27. Februar bis 29. Mai 2016). Zu dieser Schau erscheint auch eine Zeitung, in der Zafrina Musalek das Sechsfachsuppen-Rezept und seine Geschichte vorstellt («Berena News» als PDF).

Kochzeit 90 Minuten

Zutaten (als Vorspeise für 4 Personen)

100 g helles Brot, in Würfeln mit einer Kantenlänge von 1 cm

2 EL Butter

1 grosse Zwiebel (150-200 g), sehr fein gehackt

250 g Herzen vom Huhn, in Scheiben von 0.5 cm

1 L kräftige Hühnerbrühe

Saft von ½ Zitrone

Salz zum Abschmecken

2 TL schwarzer Pfeffer

1 Sträusschen Majoran, abgezupft

Zitrone zum Nachsäuern bei Tisch

Zubereitung

  1. Brotwürfel auf einem mit Backtrennpapier belegten Blech ausstreuen, im 220º heissen Ofen 40 Minuten toasten bis die Stücke braun und knusprig sind.
    Man kann die Suppe selbstverständlich auch mit altem Brot zubereiten, dann ist die Röstzeit im Ofen etwas kürzer.
  2. Butter in einem Topf erwärmen, der wenigstens 2.5 Liter fasst. Zwiebel beigeben und glasig werden lassen, Hühnerherzen dazugeben und unter ständigem Wenden anbraten bis sie allseits eine braune Farbe angenommen haben.
  3. Brotwürfel beigeben und kurz anziehen lassen, mit Weisswein ablöschen und aufkochen. Hühnerbrühe angiessen und wieder aufkochen lassen. Hitze reduzieren und 40 Minuten ohne Deckel köcheln lassen.
  4. Zitronensaft und Pfeffer beigeben, mit Salz abschmecken. Auf Teller verteilen und grosszügig mit Majoran bestreuen, Zitronenschnitze dazu reichen.

Moderne Rezepte verwenden manchmal auch Olivenöl statt Butter – und giessen dann zum Schluss auch nochmals einen Faden frisches Öl in die Suppe.

Die Brotwürfel vor und nach dem Rösten im Ofen. (Zürich, Dezember 2015)
Durch das Anbraten von Zwiebeln und Hühnerherzen kommt zusätzliches Aroma in die Suppe – ausserdem schmilzt so der kleine Fettrand ab, der auf der Oberseite mancher Herzen sitzt.
Die Suppe ganz zu Beginn der Kochzeit – noch sieht das Gericht etwas wässrig aus.
Nach etwa 40 Minuten hat die Stärke aus dem Brot das Wasser in eine glasige Brühe verwandelt, die Würfel selbst haben eine herrlich schlabbrigen Konsistenz entwickelt.
Diese Suppe haben wir mit nicht geröstetem Brot gekocht – sie schmeckt ebenfalls ausgezeichnet, etwas leichter vielleicht. (Basel, Dezember 2015)

First Publication: 12-12-2015

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