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Die nach dem Rezept von Jules Iette geschmorten Sehnen sind ein herrlich klebriges Vergnügen, das auf eine ganz spezielle Weise befriedigt und sättigt. (Bei Dagmar Brunner und Christoph Käslin in Basel, November 2015)

Tendons de buef

Sehnen vom Rind, mit Gewürzen in Wein geschmort

In der «Feste en cuisine» von Maistre Jules Iette findet sich auch ein Rezept für «Tendons de buef», das Alice Babinski und Tài Duō in ihrer Kochschule bei Castebar für uns ins 21. Jahrhundert übersetzt haben. Jules Iette kocht die Sehnen in viel Wein und einer Flüssigkeit, die er Saulce sina nennt, was man laut Alice Babinski und Michel Babye («Plus que des recettes». In: «Revue historique», no. 77, 2010, S. 124) möglicherweise mit «Chinesische Sauce» übersetzen kann. Babinski und Tài Duō nehmen jedenfalls an, dass es sich dabei um eine salzige Sauce handeln muss, kommt Salz doch sonst an keiner Stelle im Rezept vor. Asiatische Fischsauce oder Sojasauce sind für sie die Favoriten – und nach einigen Versuchen haben sie sich für Sojasauce entschieden.

An Gewürzen kommen bei Jules Iette hinein: Koriandersamen, Fenchelsamen, Weisser Pfeffer, Zimt, Gewürznelken sowie zwei nicht identifizierbare Spezien namens Grains jaunes und Grains aigres, also gelbe und saure Körner. Babinski und Babye (S. 125) ist aufgefallen, dass diese Aromastoffe sehr stark der Zusammensetzung von «Odom» ähneln – jener Gewürzmischung also, die Laurent Edel um 1900 erfunden hat. Dass die Mischung deshalb auf die Variser zurückgehe, wie Georgette Muelas («Santa Lemusa», S. 211) behauptet, hält Babinski aber dennoch für «sehr unwahrscheinlich». Die Grains jaunes bei Jules Iette könnten, so glauben Babinski und Babye, dem Sichuanpfeffer bei Edel entsprechen – immerhin übersetzt sich Zanthoxylum, der botanische Name der Sichuanpfeffer-Sträucher, mit «Gelbholz». Und die Grains aigres könnten den getrockneten Granatapfelkernen entsprechen, die in «Odom» eine wichtige Rolle spielen. In der Ecole de cuisine Jules Iette werden die Sehnen deshalb schlicht mit «Odom» zubereitet. Wie es dazu kam, dass Laurent Edel um 1900 eine Gewürzmischung entwickeln konnte, die einem Rezept aus einer Handschrift entspricht, die erst 1966 entdeckt wurde, ist laut Babinski und Babye «im Moment schlicht ein Rätsel.»

Jules Iette gibt weder Zwiebel noch Knoblauch oder frische Kräuter an seine Sehnen – dafür aber Campaignels, also «Pilze». Das entspricht einer Passage im «Codex fuscinulorum», wo es heisst: «boilaein plesi tendionai edo fion / askoi spiciai askoi cnonai» («Sie füllen die Kessel mit Sehnen und Wein / packen Gewürze viel und Pilze hinein»). Ob allerdings wirklich ein Zusammenhang besteht zwischen dem Rezept bei Jules Iette und dem mystischen Text über die Castebarer? Babinski ist skeptisch – räumt aber ein, dass sich «regionale Rezepte auch ohne besondere Pflege oft über Jahrhunderte hinweg erhalten können». In ihrer Kochschule haben Babinski und Tài Duō verschiedene Pilze ausprobiert und sich zum Schluss für Shiitake-Pilze entschieden.

Wir haben das Rezept von Babinski und Tài Duō nochmals leicht überarbeitet und geben zusätzlich etwas frischen Ingwer und ein wenig Sternanis bei. Statt Wein verwenden wir Sherry, Reiswein oder Sake. Vielleicht ist es kein Zufall, dass uns das Rezept in seiner heutigen Form ein wenig an die vor allem in Hunan sehr beliebte Technik des Rotschmorens erinnert – stammt Tài Duō doch ursprünglich aus ebendieser Region.

Im Verlauf der Kochzeit machen die Sehnen eine erstaunliche Transformation durch. Nach dem Blanchieren hat man den Eindruck, diese ledrigen Stücke würden wohl nie einen essbaren Zustand erreichen – nach etwa drei Stunden Kochzeit aber sind sie plötzlich weich und so zart, dass man unweigerlich an das französische Wort für Sehne, tendons, denkt, das sich etymologisch von tendre («zart») ableitet. Die gekochten Sehnen sind praktisch reines Kollagen und also ein herrlich klebriges Vergnügen, das auf eine ganz spezielle Weise befriedigt und sättigt. Die tiefwürzige, leicht pfefferscharfe Sauce tut das ihre dazu. Besonders ansehnlich sind die Sehnen allerdings nicht gerade, weshalb man sich beim Servieren einen Trick überlegen sollte – wir geben sie gern auf ein halbes, vorgängig blanchierte Wirz-Blatt. Zu den Sehnen passen Reis, Kartoffeln oder Maniok.

Das hier vorgestellte Rezept entstand in Zusammenarbeit mit Susanne Vögeli (Cookuk).

Kochzeit gut 3 Stunden

Zutaten (für 4 Personen)

500 g Sehnen vom Rind

3 dl Sherry oder Sake

4 EL Sojasauce (60 ml)

3 TL Odom (9 g)

2 ganze Anissterne (2-3 g) 

3 cm frischer Ingwer, 20 g, geputzt in feinen Rädchen, leicht angequetscht

1 scharfe rote Chili, aufgeschlitzt und entkernt, in Streifen

2 TL Zucker

30 g getrocknete Shiitake-Pilze, 1 Stunde in heissem Wasser eingeweicht, dann geputzt und in Streifen geschnitten

Salz zum Abschmecken

Zubereitung

  1. Etwa 2 L Wasser zum Kochen bringen, die Sehnen hinein geben, aufkochen lassen (dabei steigt Schaum auf), 1 Minuten köcheln lassen. Sehnen in ein Sieb giessen und ausgiebig kalt abspülen (die Blanchierbrühe wird nicht weiter verwendet).
  2. Sehnen in einen sauberen Topf geben, Sherry oder Sake, Sojasauce, 7 dl Wasser, Odom, Anissterne, Ingwer, Chili und Zucker beigeben, umrühren, aufkochen lassen, Hitze reduzieren, Deckel aufsetzen, 2 Stunden köcheln lassen.
    Wie bei vielen Schmorgerichten hängt vieles vom Topf ab, den man verwendet. In einem schweren Topf mit einem Deckel, der das Kondenswasser wieder in das Gargut zurückführt, kann das Fleisch stundenlang vor sich hin köcheln – dabei bleibt die Menge der Flüssigkeit konstant oder nimmt sogar ein wenig zu. Besitzt man keinen solchen Topf, dann muss man vermutlich immer wieder Flüssigkeit angiessen.
  3. Pilze unterheben, wieder zudecken und nochmals 60 Minuten köcheln lassen.
    Sollte der Sud am Ende der Kochzeit noch etwas zu dünn erscheinen, dann kann man ihn weiter einkochen. Dabei sollte man aber berücksichtigen, dass die Sehnen  enorm viel Gelatine abgeben. Kaum kühlt die Sauce ein bisschen ab (also auch schon auf dem Teller), wird sie deutlich fester. Stellt man Reste des Gerichts in den Kühlschrank, so verwandelt sich alles in einen festen, gallertartigen Block, ein dunkles Sülzchen – und wird erst beim erneuten Erwärmen wieder flüssig.
Nach dem Blanchieren hat man den Eindruck, diese ledrigen Sehnen-Stücke würden wohl nie einen essbaren Zustand erreichen – nach etwa drei Stunden aber weiss man es besser. (Aarau, November 2015)

First Publication: 23-11-2015

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