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Das Original: Carpaccio in «Harry's Bar» am Canale Grande in Venedig. (April 2015)

Carpaccio in «Harry's Bar»

Rohes Rindfleisch mit weisser Sauce – ein originales Erlebnis zu Peter Polters Episoda 150410 Venice Mercato Rialto

Alle Welt weiss, was Carpaccio ist: Bestes Rindfleisch, hauchdünn geschnitten und geklopft, mit edelstem Olivenöl befeuchtet, mit Zitrone betropft, mit Parmesanspänen belegt und vielleicht noch mit Trüffel beraffelt – wahrlich die Inkarnation mediterraner Frische. Und die halbe Welt weiss auch, dass Carpaccio im Jahr 1950 in «Harry’s Bar» in Venedig von Giuseppe Cipriani erfunden wurde – der Legende nach als spontane Lösung für eine Stammkundin, die Contessa Amalia Nani Mocenigo, deren Arzt ihr den Verzehr von gegartem Fleisch verboten hatte. Viele wissen auch, dass Cipriani das Gericht nach dem, wie es heisst, für seine leuchtenden Rottöne bekannten Renaissance-Maler Vittore Carpaccio benannt hat – dem damals offenbar gerade eine grosse Ausstellung in seiner Heimatstadt Venedig gewidmet war.

Sitzt man dann eines Tages tatsächlich in «Harry's Bar» und der weiss jacketierte Kellner stellt schwungvoll das bestellte Original-Carpaccio vor einem auf den Tisch, glaubt man erst seinen Augen nicht und blickt sich dann scheu nach der «Versteckten Kamera» um, die hier irgendwo stehen muss. Aber nein, auch anderen Gästen wurden ähnliche Teller serviert – die Sache ist also ernst gemeint. Das Rindfleisch auf dem Teller ist rot und roh wie es sein soll. Statt des erwarteten Olivenöls aber ist ein Gitter aus weisser Sauce über die flachen Scheiben gelegt – eine Mischung aus Mayonnaise und Milch, also fast eine Art Mayo-Béchamel. Die Sache kommt einem wie eine äusserst unglücklich Assemblage vor, in der die Grundprinzipien der mediterranen Diät aufs gröbste von deftigen Techniken des Nordens unterwandert werden. Und das barbarische Carpaccio schmeckt, nun, vielleicht am ehesten nach etwas, das in ein Sandwich gehört.

Laut dem «Silberlöffel» hat Cipriani diese Sauce auch nicht eigens für sein Carpaccio erfunden, sondern einfach eine Universalsauce auf das Fleisch geschmiert, die in der Bar sonst für Sandwiches und Hamburger verwendet wurde. Die Geburt des edlen Carpaccios verdankt sich also möglicherweise einem schnell und eher lieblos hingepappten Notgericht für eine wahrscheinlich ein wenig kapriziöse Contessa – denn welcher Arzt empfiehlt seinen Patienten schon den Konsum von rohem statt gekochtem Fleisch? Der glanzvolle Name allerdings macht doch einiges wieder wett.

Wenn die Kellner in «Harry's Bar» das Carpaccio servieren, traut so mancher Novize seinen Augen nicht. (April 2015)
Die Rottöne in den Bildern dieses Malers haben Cipriani zu dem Namen für sein Fleischgericht inspiriert: Vittore Carpaccios (1460-1525) «Disputa di S. Stefano» – das Gemälde aus der Scuola di S. Stefano in Venedig hängt heute in der Pinacoteca di Brera in Mailand. (Mai 2015)

First Publication: 4-5-2015

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