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Nepal – das waren ein paar Steinhäuser, lose über eine Lichtung verteilt in ihrem Zentrum Fruchtbäume und ein kleiner Gemüsegarten.

Nepal

Bezirk: Nord (Vorwahl: 02) – Karte
Einwohner: 15 (Mai 2011)
Kurzbeschreibung: Ein paar kleine Häuser und viele grosse Ideen: Nepal ist eine Lebensgemeinschaft, die sich in einem abgelegenen Gebiet östlich des Déboulé dem Bio-Landbau widmet.
Spezialitäten: «Soup Nepal»

Nina lachte während sie vor uns durch den Regen ging. Vielleicht kitzelte sie ja der Schlamm, der zwischen ihren blossen Zehen in bräunlichen Fontänen hochspritzte. Im Himmel schienen sämtliche Dämme gebrochen, so heftig prasselte das Wasser auf die Erde nieder. «Im Vergleich zu diesem Regen fühlt sich meine Dusche an wie ein Ritt durch die Wüste», scherzte Nina und beschleunigte glucksend ihren Schritt. – Auf dem Waldweg sprudelten uns munter kleine Bäche entgegen, sie schwemmten Blätter, Ästchen, Blüten und Früchte zwischen unseren Beinen hindurch – und einmal zischte da auch eine kleine Maus auf einem Surfbrett aus Moos an meiner Wade vorbei. «Surfing Mouse statt Surfing Bird», dachte ich – doch das war wohl auch bloss ein Schlechtwetterscherz. Also schwieg ich lieber. 

Täler und Nebentäler

Zum Glück hatte uns Nina unten an der Strasse abgeholt – ohne sie hätten wir den Weg nach Nepal wohl nie gefunden. Hier am südöstlichen Abhang des Déboulé gibt es so viele Täler und Nebentäler, dass sich selbst die einheimischen Ziegen manchmal verirren – so heisst es jedenfalls. Wegen des schlechten Wetters hatten wir uns verspätet, und als wir den Treffpunkt endlich erreichten, muss Nina schon mindestens eine halbe Stunde im Regen gestanden haben. Doch ganz offenbar machte ihr das nicht viel aus – im Gegenteil: Sie wirkte überaus fröhlich, ganz als sei dem Regenwasser eine glücklichmachende Droge beigemischt. Aber vielleicht hatte das ja auch mit ihrem Temperament zu tun – Ninas Eltern stammten aus Georgien, wo man ganz bestimmt ein ganz anderes Verhältnis zum schlechten Wetter pflegt.

Das «Woodstock der Karibik»

Nepal ist fast schon ein Mythos auf Santa Lemusa. Einige behaupten, es sei die Hochburg einer Sekte mit allerlei unheimlichen Ritualen – andere nennen es die «erste Kolchose von Santa Lemusa» oder das «Woodstock der Karibik». Eigentlich aber ist «Nepal» nicht mehr und nicht weniger als ein Zusammenschluss junger Männer und Frauen, die in einer selbstorganisierten Gemeinschaft leben und biologische Landwirtschaft betreiben. Dass zwischen den Bohnenranken und Tomatensträuchern wohl auch da und dort ein kleines Haschpflänzchen seine zackigen Blättchen und Blüten gegen Himmel reckt, ist allerdings nicht ganz auszuschliessen.

Für einige Minuten brach nun sogar die Sonne durch die Wolken. Der Nebel lüftete sich und gab den Blick auf den Urwald frei, der unmittelbar hinter den Häusern begann. Es war nur ein kleiner Flecken gezähmter Natur, der hier der Wildnis abgetrotzt war.

Die Bezeichnung «Nepal» ist ein Konstrukt aus den Anfangsbuchstaben der Vornamen der fünf Männer und Frauen, die 1999 die Gemeinschaft begründeten: Nina, Ernest, Paula, Andrej und Lolita. Wobei hier anzumerken wäre, dass Lolita mit ihren knapp fünfzig Lenzen deutlich die älteste ist – und ihr Ehemann Ernest mit seinen dreissig Jahren der Jüngste im Bunde. Nepal bezeichnet sowohl die unterdessen auf etwa dreissig Mitglieder angewachsene Gemeinschaft wie auch das Dorf oder vielmehr Gehöft, das die fünf Freunde vor drei Jahren für einen Spottpreis erwerben konnten – ein ehemaliges Sanatorium, das mindestens zwanzig Jahre lang leergestanden war. – Als wir nach einem wohl einstündigen Marsch oben anlangten, hatte der Regen etwas nachgelassen. Wir sahen eine Reihe von Steinhäuschen, die lose über eine leicht abschüssige Lichtung verteilt lagen – in ihrem Zentrum Fruchtbäume und ein kleiner Gemüsegarten. Zu unserer Linken war ein neues, flaches und längliches Gebäude aus Stein und Holz geschickt in den Hang hinein gebaut. Und über alledem thronte etwas weiter oben ein mehrgeschossiges Haus, eine Art Villa aus der Jahrhundertwende. Die Architektur schien intakt, doch fehlten in den oberen Geschossen die Fenster.

Von Pfütze zu Pfütze 

Leider können wir im Moment nur das Parterre und den halben erste Stock bewohnen», brummte ein melodiöser Bass hinter mir. Das war Andrej, ein Alpengebirge von einem Mann, mit Halbglatze, Vollbart und Fliegerstiefeln. Er hob seine linke Braue bis sie ein Omega-Zeichen beschrieb, blickte demonstrativ auf Ninas nackte Füsse, schüttelte seinen Kopf, zuckte schliesslich die Schultern: «Sie hat eine Abneigung gegen Schuhe». Nina lachte und sprang in Richtung Villa davon, wobei sie absichtlich von einer Pfütze zur nächsten hüpfte. Andrej führte uns zunächst zu einigen der kleinen Häuschen. Sie waren mehrheitlich aus Stein gebaut und mit Wellblech bedeckt. Für einige Minuten brach nun sogar die Sonne durch die Wolken. Der Nebel lüftete sich und gab den Blick auf den Urwald frei, der unmittelbar hinter den Häusern begann. Es war nur ein kleiner Flecken gezähmter Natur, der hier der Wildnis abgetrotzt war.

Der Raum glich eher einem Hotelzimmer denn einer Wohnung. Eine kahle Loge mit seltsam sorgfältig geweisselten Wänden, ein Bett, ein Tisch, ein Ventilator und ein äusserst bizarres Gebilde aus künstlichen Blumen an der Wand.

«Wer hier leben will, muss sich erst sein eigene Nest bauen», sagte Andrej: «Es gibt hier Dutzende dieser kleinen Häuser – aber sie sind alle in einem sehr schlechten Zustand. Doch wenn einer geschickt ist, kann er sich ein kleines Paradies auf Erden einrichten». Er öffnete eine Türe und liess uns in einen Raum eintreten, der eher einem Hotelzimmer glich denn einer Wohnung. Eine kahle Loge mit seltsam sorgfältig geweisselten Wänden, ein Bett, ein Tisch, ein Ventilator und eine äusserst bizarres Gebilde aus künstlichen Blumen an der Wand. «Es sind eben nicht alle dazu geboren, Innendekorateure zu sein», bemerkte Andrej als er unsere leicht irritierten Gesichter sah – und komplimentierte uns sogleich wieder aus der Wohnung heraus. Andrejs Mine war steinern – ich wurde allerdings den Verdacht, nicht los, dass wir wohl gerade eben in seinem kleinem «Paradies» gewesen waren. 

Das Herzstück von Nepal

Wir wateten durch den Schlamm zu dem neuen, länglichen Gebäude. Der Zugang zu allen Räumen führte hier über eine hölzerne Veranda, die dem Bau vorgelagert war. «Im Moment ist die alte Villa noch das Zentrum unseres Dorfes. Aber wenn dieses Haus fertig ist, dann wird das hier das Herzstück von Nepal sein», verkündete Andrej stolz. «Hier werden wir Werkstätten, Wohnungen für Gäste und eine Art grosser Küche einrichten, in der wir nach alten Methoden Fleisch räuchern und allerlei Konserven zubereiten werden.» Er führte uns in einen stattlichen Raum mit Wänden aus Steinquadern, in dessen Mitte eine Feuerstelle lag. Darüber öffnete sich ein oktogonaler Kamin aus Holz. «Das ist eine Konstruktion aus dem Kaukasus, die wir für die klimatischen Verhältnisse hier auf Santa Lemusa verbessert haben», erklärte Andrej und fügte lächelnd bei: «Nina und ich stammen ja ursprünglich aus Georgien – und also senden wir damit quasi Rauchzeichen in unsere Heimat».

 

Über der Feuerstelle öffnete sich ein oktogonaler Kamin aus Holz. In dieser Küche werden dereinst nach alten Methoden allerlei Konserven und Rauchfleisch zubereitet werden.

Unterdessen war es dunkel geworden und der Regen hatte wieder eingesetzt. Wir gingen hinüber zur Villa. Als wir eintraten, schlug uns ein Gewirr aus Stimmen entgegen. Es roch intensiv nach Fleisch und nach Gewürzen. Nina flog auf uns zu: «Ihr müsst hungrig sein nach dieser Tour mit Bruder Berg», lachte sie: «wer ihm zuhört, verbraucht dabei mehr Kalorien als ein Marathonläufer». Durch eine improvisierte Küche, in der allerlei Fleischstücke in grossen Metallschüsseln vor sich hin bluteten, schubste sie uns an einen langen Tisch. Die Männer und Frauen, die da sassen, begrüssten uns lachend und prosteten uns mit kleinen Gläsern zu. Auch wir erhielten kleine Becher, in denen eine trübe Flüssigkeit schwamm: «Das ist unsere beste ‹Milch› – und das sage ich als Bäuerin», scherzte eine junge Schwarze, der das Haar in zahllosen Zöpfchen vom Kopfe stand. Das Getränk roch hochpronzentig, doch ich hatte keine Ahnung, woraus es wohl gebrannt worden war.

Süsse Plätzchen – schwere Tropfen

Ehe ich fragen konnte, trat Nina mit einem grossen Topf an den Tisch: «Wir haben heute früh ein Lamm geschlachtet», kicherte sie und goss eine dicke, rötliche Suppe in unsere Teller. Darin schwammen Erbsen, Reis und dunkle Fleischstücke, es roch nach Lamm und nach Zimt. Besonders ansehnlich war die Suppe nicht, doch sie schmeckte ausgezeichnet. «Das ist eines unserer Leibgerichte hier», strahlte Nina und stahl sich mit zwei Fingern geschickt eine Erbse aus meinem Teller: «Wir nennen es Nepal-Suppe» – Nach dem Essen wurden wir von Nina durch den Rest des Hauses geführt. Die Villa war in einem desolaten Zustand, die meisten Räume kaum zu benutzen und die Stufen des Treppenhauses waren von Putzstücken übersät. «Das sieht schlimmer aus als es ist», lachte Nina und schob mit ihren nackten Zehen ein grosses Mauerstück zur Seite, auf dem noch Reste einer ornamentalen Bemalung zu erkennen waren.

Die Villa war zum grössten Teil in einem sehr schlechten Zustand. Das Treppenhaus wirkte gefährlich und die Stufen waren von Putzstücken übersät.

Später sassen wieder bei Tisch, assen etwas zu süss geratene Mangoplätzchen und tranken mehr von dem seltsamen Likör, der tatsächlich mit jedem Schluck besser wurde. Nina war immer noch fröhlich und als es auf Mitternacht zuging, sagte sie ausgelassen: «Jetzt gibt es noch ein wenig Musik und dann bringe ich euch zu eurem Wagen runter». Sie holte eine kleine Laute aus einem Schrank und begann zu spielen. Sie hatte eine wunderbare Stimme – und auch wenn man den Text nicht verstand, war doch klar, dass es um Liebe ging. Ich blickte hinaus in die Nacht. Schwere Regentropfen sausten wie Silbermünzen durch den Lichtraum vor dem Fenster – und mit jeder Strophe wünschte ich mir mehr, dieser Nepal-Song möge bis zum Morgengrauen dauern.

Sie hatte eine wunderbare Stimme – und auch wenn man den Text nicht verstand, war doch klar, dass es um Liebe ging.

Ein Produkt aus Nepal

Im Jahr 2006 hat die Gemeinschaft von Nepal eine kleine Plantage angelegt, auf der sie Tasmanischen Pfeffer (Drimys lanceolata) anbaut. Blätter und Beeren werden auch in Nepal selbst getrocknet und seit 2009 in kleineren Mengen verkauft. Die jährliche Produktion liegt im Moment (Stand 2010) bei etwa 400 kg.

Siehe auch

First Publication: 3-2006

Modifications: 15-2-2009, 28-7-2010, 30-9-2011, 7-1-2012, 24-7-2013