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Ein Eis, das einem die Füsse wärmt: Zu diesem Buchweizen-Ahornsirup-Rezept hat uns ein Besuch im Restaurant «Vendôme» auf Schloss Bensberg nahe Köln inspiriert. (Riehen, Dezember 2014)

Herbst-Eis «Vendôme» – mit Missverständnis

Eis aus Milch, Buchweizen und Ahornsirup – ein Rezept zu Peter Polters Episoda 141205 Cologne Kardinal-Höffner-Platz

Ein Essen bei Joachim Wissler im «Vendôme» auf Schloss Bensberg nahe Köln ist auf eine Art schön und lustig, die uns ein wenig an das Erlebnis in einer Luxus-Konditorei wie dem «Demel» in Wien erinnert – was sicher auch damit zu tun hat, dass sich so manche Speise wie Konfekt präsentiert. «Yin & Yang» zum Beispiel besteht zur Hauptsache aus zwei feinen Scheiben in Miso gebeizter Gänseleber, die mit einem roten und einem grünen Apfelgelee belegt sind. Das erinnert an glasierte Törtchen, wobei die Stücke auf künstlich-fruchtige und zugleich frische Art nach Leber schmecken – uninteressant ist das nicht.

Schon Wisslers Basis-Menu «Status Quo» umfasst so viele verschiedene Gänge, dass die Portionen entsprechend klein ausfallen. Das führt dazu, dass man fast alle Teile der einzelnen Speisen auf einen Happen in den Mund nehmen muss – und also jeweils nur diese eine Chance hat, all die Nuancen herauszuschmecken, all die Aspekte zu begreifen, all die Konzepte zu erahnen. Unter den Vorspeisen etwa gibt es eine mit dem Namen «Milchferkelschnäuzchen». Auf dem japanisch anmutenden Teller und zwei beigestellten Holzöhrchen (das ganze Arrangement soll vermutlich an einen Schweinskopf erinnern) liegen folgende Dinge:
- ein Stück Schweinebacke von der Grösse eine Zuckerwürfels, das mit frittierter und zerkrümelter Gesichtshaut belegt ist
- ein ähnlich grosses Stück Schweinebauch mit karamellisierter Schwarte
- ein 5 cm langer Streifen Schweinsohr von der Dicke einer feinen Nudel
- eine pochierte Gillardeau-Auster
- drei Kleckser Gemüse-Gelatine
- drei Zweigchen Kresse
- drei Messerspitzen Kaviar
- ein paar Kleckser leicht säuerlicher Sauce
- eine Art feste Gemüseterrine aus Kräutern, Spargel und möglicherweise Wasabi, in der Form einer kleinen Schweineschnauze
- zwei auf Mohn gebettete Cracker mit einer Gemüsemousse (?)

Unsere Erinnerung ist sicher nicht ganz korrekt – auch haben wir längst nicht alle Würzzutaten identifiziert. Das grüne Schnäuzchen ist offenbar ein Scherz – und zugleich eine Klammer im Menü, denn es taucht ganz am Ende in süsser Form wieder auf. Trotzdem verstehen wir nicht ganz, warum es hier als vegetarische Terrine in Erscheinung tritt – so wie uns die ganze Inszenierung auf und um diesen Teller ein wenig irritiert. Geht es darum, eine Begegnung mit einem Schweinskopf zu bieten – ohne die Gäste zu sehr abzuschrecken? Immerhin können sie nachher sagen, sie hätten ein Stück vom Gesicht der Tiers serviert bekommen – und die fette Pille tapfer geschluckt. Wenn sich dann noch der Name des ganzen Gangs dazu gesellt, dann stellt die Phantasie mit einem wohligen Schauer wohl bald einen ganzen Schweinskopf auf den Tisch. Gut möglich also, dass der Koch mit einem solchen Gericht auch dafür sorgen will, dass die Leute etwas zu erzählen haben. Ja dank solcher Manöver erscheint das Essen im «Vendôme» so manchem Gast wohl auch nicht mehr nur als (passiver) Genuss, sondern fast schon als so etwas wie eine Leistung – und natürlich als ein Abenteuer.

Weil die diversen Komponenten der einzelnen Gänge so knapp bemessen sind, dass sie sich der gustativen Wahrnehmung immer bis zu einem gewissen Grad entziehen, werden die Erklärungen der Kellner umso wichtiger. Im «Vendôme» wissen sie sehr genau zu sagen, was man da auf dem Teller vor sich sieht, woher die Ingredienzien stammen, wie alles zubereitet wurde und welche Effekte es in Nase und Mund provozieren soll. Diese Erzählungen schlüsseln gewissermassen den Teller auf und verknüpfen ihn mit den Geschehnissen in der Küche. Die Worte der Kellner geben den ganzen Klecksern und kleinen Stücken, die das Auge nicht identifizieren kann, eine Geschichte, eine Sprache, eine Rolle in der Gesamtkomposition – und dem Erleben eine bestimmte Ausrichtung.

Das gefällt uns einerseits, denn die Präsentation einer jeden Speise kommt uns wie ein kleines Theaterstück vor. Andererseits stellt das natürlich auch eine ganz handfeste Manipulation dar – denn die Vorstellungskraft ist ja bekanntlich der Vorkoster unseres Gaumens. Das erinnert uns ein wenig an eine Tiger-Safari, die wir vor Jahren im Süden Indiens haben mitmachen dürfen. Während der Reise durch den Dschungel haben wir fast keine Tiere gesehen. Am Abend aber wurde uns ein Film über den Nationalpark vorgeführt – und schon einen Tag später konnte wir kaum noch sagen, welche Tiere uns nun in Natura begegnet waren, und welche wir bloss in dem Film gesehen hatten.

Viele Dinge in dem Menu von Wissler sind nur schwer nachzukochen – ein «Mascarponeravioli» etwa, dessen ‹Teig› aus einer Art Tomatenwasser-Gelatine besteht, kommt uns wahrlich wie ein Zaubertrick des Küchenmeisters vor. Vergleichsweise leicht zu rekonstruieren schien uns indes das Buchweizen-Ahornsirup-Eis, das im Zentrum der ersten Nachspeise mit dem Namen «Herbstapfel» steht – eine überaus charmante Kombination. Beim Nachbau allerdings unterlief uns ein kleiner Fehler: Wisslers Eis besteht lediglich aus Buchweizen – der Ahornsirup kommt dann erst auf dem Teller in purer Form dazu. Das lehrt auch die genaue Lektüre des entsprechenden Menu-Punktes: «Herbstapfel [Buchweizen – Crèmeeis : Ahornsirup & soufflierte Rosinen]». Aus Versehen haben wir bei der Rekonstruktion den Ahornsirup schon mit ins Eis gepackt, wo er den Zucker fast völlig ersetzt. Das Ergebnis schien uns allerdings so verführerisch, so befriedigend, dass wir auch bei den weiteren Tests dem Missverständnis treu geblieben sind. Unser Eis vereint lauter wärmende, einlullende Aromen. Es erinnert uns an Toastbrot, Kaffee mit viel Milch, geröstete Nüsse, getrocknete Tomaten, süsse Currys mit Joghurt und Rahm. Zunächst liegt es wie ein kühles Gebäck auf der Zunge, das sich in der Wärme des Mundes aber schnell in eine Suppe verwandelt, deren Aromen uns in alle Winkel schiessen – ein Erlebnis, das selbst kalte Füsse wärmen dürfte.

Kochzeit 15 Minuten
Ziehzeit 60 Minuten
Abkühl- und Gefrierzeit wenigstens 3 Stunden

Zutaten (für ca. 5 dl Eis)

150 g Buchweizen

8 dl Vollmilch

1 dl Ahornsirup

25 g Zucker

1 Prise Salz

3 Eigelb

Nochmals zwei EL Buchweizen zum Bestreuen des Eises

Ev. nochmals etwas Ahornsirup

Zubereitung

  1. Eine nicht beschichtete Bratpfanne aus Stahl erwärmen und die Buchweizen-Kerne unter häufigem Rühren und Schütteln gut fünf Minuten rösten bis sie eine leicht dunklere Farbe annehmen und einen charakteristischen, toastbrotartigen Duft verströmen. Vom Feuer nehmen, noch eine Minute nachrühren, dann etwa zehn Minuten abkühlen lassen.
  2. Milch und Buchweizen in eine grössere Saucenpfanne geben und bis kurz vor den Siedepunkt erwärmen, zwei Minuten unter ständigem Rühren leicht simmern lassen, vom Feuer nehmen, Deckel aufsetzen und eine Stunde lang ziehen lassen.
  3. Über einer sauberen Pfanne ein Sieb in Position bringen und mit einem Passiertuch auslegen. Die Buchweizen-Milch sorgfältig hineingiessen und die Kerne in dem Tuch auffangen. Das Tuch mit den Buchweizen gut auswringen bis so viel Milch wie möglich aus den Kernen gepresst ist. Es sollten etwa 4 dl Flüssigkeit zur Verfügung stehen.
    Die zurückbleienden Buchweizen-Kerne lassen sich vielseitig verwenden – als Suppeneinlage, mit etwas Quark oder Joghurt als Teil eines Müsli, mit Honig, Rahm und Trockenfrüchten als süsses Dessert, ja sogar als Salat.
  4. Eigelb in eine Schüssel geben und kurz verquirlen.
  5. Ahornsirup, Zucker und Salz in die Milch einrühren. Die Milch bis kurz vor den Siedepunkt erwärmen, vom Herd nehmen, kurz etwas abkühlen lassen, in kleinen Portionen sukzessive in das Eigelb einrühren. Dabei entsteht eine leicht dickliche Sauce.
  6. Die Milch-Ei-Mischung wieder in den Topf zurück schaben und bei mittlerer Hitze und unter ständigem Rühren etwa drei Minuten köcheln (aber nicht zum Kochen bringen) bis die Flüssigkeit zu einer schaumigen Creme eingedickt ist (so, dass der Löffel in der Masse eine leichte Spur hinterlässt).
  7. Masse in eine (nach Möglichkeit eisgekühlte) Schüssel schaben, gut durchrühren, zudecken und unter gelegentlichem Rühren auf Zimmertemperatur abkühlen lassen.
  8. Masse in die Eismaschine geben – oder in einem Behälter in den Gefrierschrank stellen und regelmässig umrühren.
    Wir besitzen keine Eismaschine, was manchmal eindeutig Nachteile hat (Bildung von Eiskristallen etc.) – im Fall dieses Rezeptes aber bekommt man auch so eine schöne Konsistenz hin.
  9. Kurz vor dem Essen die zusätzlichen Buchweizen-Körner in einer nicht beschichteten Bratpfanne rösten bis sie duften. Eis auf einen Teller stürzen und mit den Buchweizen-Körnern bestreuen. Ev. etwas Ahornsirup darüber träufeln.

Ohne Eismaschine wird das Eis etwas härter. Man sollte es also je nach Raumtemperatur etwa 30 Minuten bis eine Stunde vor dem Essen aus dem Gefrierschrank holen.

Beim Rösten nehmen die Buchweizen eine etwas dunklere Farbe an und verströmen einen Duft, der an Toastbrot oder auch an ein raffinertes Gebäck mit Kaffee- und Nussaroma denken lässt. (Zürich, Dezember 2014)
Mit einem stabilen Passiertuch gelingt es leicht, fast alle Milch aus dem Buchweizen zu pressen.
Beim Eindicken der Masse sollte man darauf achten, sie nicht bis zum Kochpunkt zu erwärmen – je nachdem kann das Eigelb sonst plötzlich koagulieren. Wenn man schnell reagiert, kann man das Eis zwar retten, es schmeckt aber dann etwas krümelig.
Hier haben wir aus dem ‹Abfall›, also dem in der Milch ausgelaugten Buchweizen, drei verschiedene Salate hergestellt – mit Hilfe von Kräutern und Gewürzen, Zwiebeln, einem Bratenrest, Senf, verschiedenen Ölen, Zitrone, Orangenzeste, Essig und Joghurt.
Unter den zahlreichen Vorspeisen, die Joachim Wissler im «Vendôme» serviert, findet sich auch ein Teller namens «Yin & Yang». Er besteht aus zwei Scheiben miso-gebeizter Gänseleber, die mit einem roten und einem grünen Apfelgelee belegt sind. (Schloss Bensberg, November 2014)
Ein Schweinskopf mit komplexen Botschaften aus der Küche: «Milchferkelschnäuzchen» – eine der Vorspeisen in Joachim Wisslers Basis-Menu «Status Quo».
Der Küchenchef als Hexenmeister: Der ‹Teig› von Wisslers «Mascarponeravioli» besteht aus einer Art Tomaten-Wasser-Gelatine. Für uns war dies der Höhepunkt des Menus – und das Erlebnis hat uns wahrhaft verzaubert.
Das Vorbild für das hier vorgestellte Eis: «Herbstapfel [Buchweizen – Crèmeeis : Ahornsirup & soufflierte Rosinen]» – ein Dessert, das im Basis-Menu des Restaurants «Vendôme» serviert wird.

First Publication: 26-12-2014

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