Eis aus Milch, Buchweizen und Ahornsirup – ein Rezept zu Peter Polters Episoda 141205 Cologne Kardinal-Höffner-Platz
Ein Essen bei Joachim Wissler im «Vendôme» auf Schloss Bensberg nahe Köln ist auf eine Art schön und lustig, die uns ein wenig an das Erlebnis in einer Luxus-Konditorei wie dem «Demel» in Wien erinnert – was sicher auch damit zu tun hat, dass sich so manche Speise wie Konfekt präsentiert. «Yin & Yang» zum Beispiel besteht zur Hauptsache aus zwei feinen Scheiben in Miso gebeizter Gänseleber, die mit einem roten und einem grünen Apfelgelee belegt sind. Das erinnert an glasierte Törtchen, wobei die Stücke auf künstlich-fruchtige und zugleich frische Art nach Leber schmecken – uninteressant ist das nicht.
Schon Wisslers Basis-Menu «Status Quo» umfasst so viele verschiedene Gänge, dass die Portionen entsprechend klein ausfallen. Das führt dazu, dass man fast alle Teile der einzelnen Speisen auf einen Happen in den Mund nehmen muss – und also jeweils nur diese eine Chance hat, all die Nuancen herauszuschmecken, all die Aspekte zu begreifen, all die Konzepte zu erahnen. Unter den Vorspeisen etwa gibt es eine mit dem Namen «Milchferkelschnäuzchen». Auf dem japanisch anmutenden Teller und zwei beigestellten Holzöhrchen (das ganze Arrangement soll vermutlich an einen Schweinskopf erinnern) liegen folgende Dinge:
- ein Stück Schweinebacke von der Grösse eine Zuckerwürfels, das mit frittierter und zerkrümelter Gesichtshaut belegt ist
- ein ähnlich grosses Stück Schweinebauch mit karamellisierter Schwarte
- ein 5 cm langer Streifen Schweinsohr von der Dicke einer feinen Nudel
- eine pochierte Gillardeau-Auster
- drei Kleckser Gemüse-Gelatine
- drei Zweigchen Kresse
- drei Messerspitzen Kaviar
- ein paar Kleckser leicht säuerlicher Sauce
- eine Art feste Gemüseterrine aus Kräutern, Spargel und möglicherweise Wasabi, in der Form einer kleinen Schweineschnauze
- zwei auf Mohn gebettete Cracker mit einer Gemüsemousse (?)
Unsere Erinnerung ist sicher nicht ganz korrekt – auch haben wir längst nicht alle Würzzutaten identifiziert. Das grüne Schnäuzchen ist offenbar ein Scherz – und zugleich eine Klammer im Menü, denn es taucht ganz am Ende in süsser Form wieder auf. Trotzdem verstehen wir nicht ganz, warum es hier als vegetarische Terrine in Erscheinung tritt – so wie uns die ganze Inszenierung auf und um diesen Teller ein wenig irritiert. Geht es darum, eine Begegnung mit einem Schweinskopf zu bieten – ohne die Gäste zu sehr abzuschrecken? Immerhin können sie nachher sagen, sie hätten ein Stück vom Gesicht der Tiers serviert bekommen – und die fette Pille tapfer geschluckt. Wenn sich dann noch der Name des ganzen Gangs dazu gesellt, dann stellt die Phantasie mit einem wohligen Schauer wohl bald einen ganzen Schweinskopf auf den Tisch. Gut möglich also, dass der Koch mit einem solchen Gericht auch dafür sorgen will, dass die Leute etwas zu erzählen haben. Ja dank solcher Manöver erscheint das Essen im «Vendôme» so manchem Gast wohl auch nicht mehr nur als (passiver) Genuss, sondern fast schon als so etwas wie eine Leistung – und natürlich als ein Abenteuer.
Weil die diversen Komponenten der einzelnen Gänge so knapp bemessen sind, dass sie sich der gustativen Wahrnehmung immer bis zu einem gewissen Grad entziehen, werden die Erklärungen der Kellner umso wichtiger. Im «Vendôme» wissen sie sehr genau zu sagen, was man da auf dem Teller vor sich sieht, woher die Ingredienzien stammen, wie alles zubereitet wurde und welche Effekte es in Nase und Mund provozieren soll. Diese Erzählungen schlüsseln gewissermassen den Teller auf und verknüpfen ihn mit den Geschehnissen in der Küche. Die Worte der Kellner geben den ganzen Klecksern und kleinen Stücken, die das Auge nicht identifizieren kann, eine Geschichte, eine Sprache, eine Rolle in der Gesamtkomposition – und dem Erleben eine bestimmte Ausrichtung.
Das gefällt uns einerseits, denn die Präsentation einer jeden Speise kommt uns wie ein kleines Theaterstück vor. Andererseits stellt das natürlich auch eine ganz handfeste Manipulation dar – denn die Vorstellungskraft ist ja bekanntlich der Vorkoster unseres Gaumens. Das erinnert uns ein wenig an eine Tiger-Safari, die wir vor Jahren im Süden Indiens haben mitmachen dürfen. Während der Reise durch den Dschungel haben wir fast keine Tiere gesehen. Am Abend aber wurde uns ein Film über den Nationalpark vorgeführt – und schon einen Tag später konnte wir kaum noch sagen, welche Tiere uns nun in Natura begegnet waren, und welche wir bloss in dem Film gesehen hatten.
Viele Dinge in dem Menu von Wissler sind nur schwer nachzukochen – ein «Mascarponeravioli» etwa, dessen ‹Teig› aus einer Art Tomatenwasser-Gelatine besteht, kommt uns wahrlich wie ein Zaubertrick des Küchenmeisters vor. Vergleichsweise leicht zu rekonstruieren schien uns indes das Buchweizen-Ahornsirup-Eis, das im Zentrum der ersten Nachspeise mit dem Namen «Herbstapfel» steht – eine überaus charmante Kombination. Beim Nachbau allerdings unterlief uns ein kleiner Fehler: Wisslers Eis besteht lediglich aus Buchweizen – der Ahornsirup kommt dann erst auf dem Teller in purer Form dazu. Das lehrt auch die genaue Lektüre des entsprechenden Menu-Punktes: «Herbstapfel [Buchweizen – Crèmeeis : Ahornsirup & soufflierte Rosinen]». Aus Versehen haben wir bei der Rekonstruktion den Ahornsirup schon mit ins Eis gepackt, wo er den Zucker fast völlig ersetzt. Das Ergebnis schien uns allerdings so verführerisch, so befriedigend, dass wir auch bei den weiteren Tests dem Missverständnis treu geblieben sind. Unser Eis vereint lauter wärmende, einlullende Aromen. Es erinnert uns an Toastbrot, Kaffee mit viel Milch, geröstete Nüsse, getrocknete Tomaten, süsse Currys mit Joghurt und Rahm. Zunächst liegt es wie ein kühles Gebäck auf der Zunge, das sich in der Wärme des Mundes aber schnell in eine Suppe verwandelt, deren Aromen uns in alle Winkel schiessen – ein Erlebnis, das selbst kalte Füsse wärmen dürfte.
Kochzeit 15 Minuten
Ziehzeit 60 Minuten
Abkühl- und Gefrierzeit wenigstens 3 Stunden
150 g Buchweizen
8 dl Vollmilch
1 dl Ahornsirup
25 g Zucker
1 Prise Salz
3 Eigelb
Nochmals zwei EL Buchweizen zum Bestreuen des Eises
Ev. nochmals etwas Ahornsirup
Ohne Eismaschine wird das Eis etwas härter. Man sollte es also je nach Raumtemperatur etwa 30 Minuten bis eine Stunde vor dem Essen aus dem Gefrierschrank holen.
First Publication: 26-12-2014
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