Kalmar als Live-Sashimi – ein Tentakeltanz auf dem Teller. Kalmar vom Grill, als Tempura, gesalzen und leicht fermentiert, im Saft seiner Eingeweide vergoren, mit Chili, mit Sesam, mit Perillablatt, gewalzt, gerillt und getrocknet, in Fasern zerrissen, süss, scharf oder sauer. In Hakodate, der grossen Hafenstadt im Süden von Hokkaido, ist der Kalmar König – und der Juli ist seine Hochzeit. Auf dem Morgenmarkt wird er in allen Formen angeboten, auch lebendig in Glastanks, in aufgeblasenen und halb mit Wasser gefüllten Plastiktüten oder zum Selberangeln in einem stattlichen Bassin – Erfolg garantiert. Und was das junge Publikum aus dem Wasser zieht, wird flugs shasimisiert und auf der Stelle mit etwas Sojasauce und geriebenem Rettich in die eigenen Darmgründe befördert. Niemand scheint hier auch nur die geringsten Zweifel daran zu haben, dass diese Tiere ausschliesslich dazu bestimmt sind, vom Menschen gefischt, zerlegt und gegessen zu werden. Auch die Kinder wissen das – und selbst wenn manche die Kalmare zu streicheln versuchen, so treiben sie ihnen doch wenig später selbstverständlich ihre Essstäbchen in das halbdurchsichtige Fleisch. Und sogar die Tintenfische scheinen die Regeln zu kennen, nach denen hier gelebt und gestorben wird – denn wo bleibt ihre Tinte? Das Wasser im Becken könnte klarer nicht sein. Haben sie schon alles versprüht, wurde ihnen das Verteidigungsmittel weg gezüchtet – oder bewahren die Fische ihre Tinte für einen Küchenmeister auf, der sie vielleicht darin schmoren will?
First Publication: 20-8-2014
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