An der Grenze zwischen dem Isaan und Laos ist der Mekong eine braune Brühe, die gemächlich durch eine mehrheitlich flache Landschaft treibt. Die mächtigsten Tiere, die in dieser Brühe leben, sind die Naga. Diese schlangenartige Wesen, die im Isaan als goldenen Skulpturen die Portale und Treppen buddhistischer Tempel zieren, sollen am Grunde des Mekong in gläsernen Palästen residieren. Die Naga sind enge Verwandte der gleichnamigen Gottheiten in der indischen Mythologie und können, wie diese, auch menschliche Gestalt annehmen.
Die Wasser des Flusses bieten Tieren eine Heimat, wie man sie eher in einer maritimen Umgebung vermuten würde. So gleitet eine enorme Roche durch den Mekong, schwimmen Doktorfische und farbige Brassen gegen die Strömung an. Auch ein Riesenwels tastet sich mit seinen Barteln über den Grund – er gilt als gewaltigster Vertreter seiner Art.
Diese machtvollen Mythen und verblüffenden Superlative stehen in einem seltsamen Missverhältnis zu der Harmlosigkeit, ja Belanglosigkeit, die der Fluss ausstrahlt – in den Wintermonaten zumindest. Das Bild, das der Mekong im Februar abgibt, will auf jeden Fall partout nicht zum Klang seines Namens passen.
Wenn wir mehrere tausend Kilometer geflogen sind, um den gewaltigen Mekong zu sehen, dann können wir das nur schwer akzeptieren. Also fühlen wir uns fast verpflichtet, eine Perspektive auf den Fluss zu suchen, aus der heraus sich etwas von seinem Mythos einlöst. Das gelingt natürlich am besten bei Zwielicht, dann kann einem der Fluss selbst gelegentlich wie eine grosse Schlange vorkommen, die fast geräuschlos durch die Landschaft gleitet. Vor allem im Abendlicht sehen die Wellen wie bronzene Schuppen aus, die den Bewegungen eines präzise choreographierten Muskelspiels im Innern des Flusskörpers folgen.
Wie gut, ist diese Welt so flexibel.
First Publication: 4-4-2014
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