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«Oh my god!»

Cartagena (Colombia) Calle Badillo, Carrera 7
Ecke Plaza Fernandéz de Madrid
Samstag, 8. Februar 2014

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Reiseführer versuchen ihre Leser dahin zu bringen, das Richtige zu erleben. Sie müssen also zwischen Gut und Böse unterscheiden. Ein wesentliches Kriterium ist dabei die «Authentizität». Was authentisch ist, gilt als richtig und gut – was nicht authentisch ist, gilt als falsch und böse. Authentisch ist zum Beispiel, was auch die Bewohner eines Ortes beanspruchen oder tun – nicht authentisch ist, was nur für Touristen da ist.

So gilt zum Beispiel die Strassenküche fast allen Reiseführern als authentisch. Wer sich etwa an einem Stand in Cartagena eine mit Wurst gefüllte Arepa kauft, sie ein paar Schritte weiter halb aus dem Zeitungspapier auspackt, seine Zähne in den noch warmen Teig schlägt und sofort den Körper vornüber beugt und die Beine breit macht (weil es tropft), der beisst nicht nur in eine Nahrungsmittel, sondern macht sich zugleich ein Stück echter Alltagskultur zu eigen . Solche Einverleibungen werden auch von den reisenden Köchen gerne praktiziert – egal ob sie Andrew Zimmern oder Anthony Bourdain heissen: Mit ihren Fernsehteams im Tross rauschen sie von einer exotischen Destination zu nächsten, nur um hier wie dort vor einem Strassenstand mit weit aufgerissenen Augen ihre Kiefer über irgendein triefendes Sandwich oder einen Spezial-Burger zu stülpen und dann mit vollem Mund «Oh my god!» zu rufen oder ungläubig den Kopf zu schütteln – als hätten sie beissend die Vision einer höchst ungewöhnlichen Sexualpraktik gehabt: «That's so…».

Im Unterschied zur Strassenküche gilt etwa die Fahrt mit einer Kutsche als das absolute Gegenteil von authentisch. Denn wo es heute auf dieser Welt noch Kutschen gibt, gibt es sie nur für und wegen der Touristen (sieht man von ganz ärmlichen Weltengegenden ab, wo die Kutschen ja aber auch eher Karren sind). Kein Wunder haben Travelers, die mit dem «Lonely Planet» unterm Arm auf dem Pfad der Authentizität unterwegs sind, für Kutschenfahrer nur ein verächtliches Lächeln über. Dabei sollte der Anblick dieser Spiesser, die sich von trabenden Touristenfalle durch die Strassen schaukeln lassen, den wahren Reisenden doch eigentlich in seiner Suche nach dem Echten nur bestärken.

Reiseführer verraten ihren Lesern, was an einem bestimmten Ort authentisch ist – und was nicht. Wovon sie nie sprechen, ist die Authentizität des Touristen, der diese Orte bereist. Es scheint als sei seine Echtheit eine Selbstverständlichkeit. Aber wie authentisch ist ein Reisender, der in eine triefende Arepa beisst – obwohl er im Grunde vielleicht lieber in einer Kutsche sässe und sich durch die Strassen gondeln liesse?

 

Siehe auch

  • Ein Rezept zur Episoda: Lengua a la Criolla (Kalbszunge, gesotten und heiss geräuchert, mit eine Sauce aus Zwiebeln, Tomate und Limettensaft)
  • Episoda – eine Sendung für Santa Lemusa (Einführung)
  • Biographie von Peter Polter

First Publication: 7-3-2014

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