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Lufthansa-Flug LH543 von Bogota nach Frankfurt. (Donnerstag, 13. Februar 2013).

48. Flasche

Ungeheure Welt

Valais Pinot noir Gérald Clavien à l'Ancienne Sierre 2005

Von aussen unbewegt riecht der Wein zunächst nur nach dunkler Kirsche. Zieht man die Luft etwas stärker ein, schlägt einem ein aus seiner Tiefe ein heftiges, rauchiges Vanilleparfum entgegen – dazu eine überreife exotische Frucht, mal eher eine am Boden zerplatzte Jackfrucht, mal eine fast schon faulige Ananas. Oder ist da gar eine Durian mit im Spiel? Mit der Bewegung ist die Kirsche ganz vom Tisch, betreten wir mit leicht alarmierter Nase ein exotisches Fruchtgeschäft – es könnte sogar sein, dass wir ab und zu verbrannten Plastik riechen. Der Pinot ist wie eine unheimliche Erzählung – und lässt mir meine Umgebung so noch behaglicher erscheinen. Er ist die ungeheure Welt draussen vor der sicher verschlossenen Tür.

Wenn ich von einer weiteren Reise zurückkehre, wenn ich mit meinem Fahrrad vom Bahnhof nach Hause trampe, wenn ich über dem nächtlichen Zürichsee die verschneiten Berge glitzern sehe, wenn ich das alte, schwere Gartentor aufstosse und unter den mächtigen Ästen der Tanne zur Eingangstür gehe, wenn ich meine Jacke ausziehe und mir eine schwarze Olive in den Mund schiebe, die ich in meinem Kühlschrank gefunden habe, dann hüllt mich eigentlich immer wohlige Wärme und müde Geborgenheit ein – es kommt mir vor, als tauchte ich in das warme Wasser einer Badewanne ab. Vielleicht kann man diese Badewanne Zuhause oder gar Heimat nennen – ich glaube es ist einfach ein Ort, den ich schätzte weil ich ihn auf komplexe Weise wiedererkenne, weil er mir vertraut ist, weil ich ihn beanspruche, weil ich die Anspannung der Reise hier lösen kann. Auch kann ich jederzeit ins Bett schlüpfen, mit meinem Schlaf den Roman meiner Reise schliessen. Gleichzeitig stellt sich ein tiefes Gefühl der Befriedigung ein, dass ich trotz meiner Ängste weg gewesen bin, dass ich in fernen Ländern ein wenig an Weltzuversicht gewonnen und erfahren habe, dass ich auch ausserhalb meiner vertrauten Umgebung existieren, Lebendigkeit erhalten kann.

Die Feststellung, dass der Tourist, der Mensch auf Reisen nicht mehr wert ist als seine Kreditkarte hergibt, mag richtig sein – ist aber nur ein Teil der Geschichte. Mit Kredit ist der Reisende im Grunde anspruchslos – sind die Guthaben aber einmal aufgebraucht, dann wird er zum Problem. Und ist es nicht so etwas wie ein Trost, dass man immer die Option hat, zum Problem zu werden?

Im Mund ist der Wein trocken, mit einiger Säure, frisch, etwas rauh, nicht sehr dicht. Von innen gerochen sind die Aromen etwas einfacher, weniger exotisch – dafür kommt etwas Medizinisches mit ins Spiel, was auch von der Bitterkeit herrührt. Spontan denke ich an einen altmodischen Hustensirup – oder an eine dunkle, bittere Frucht. Auch im Abgang hinterlässt der Pinot noir eine bittere Note.

Getrunken am Donnerstag, 13. Februar 2014 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Mövenpick Wein» in Kloten (Fr. 45.00 im November 2013).

Nächste Flasche

Valais Pinot noir Gérald Clavien Cave Les Deux Crêtes à l'Ancienne Sierre

AOC, 2005, 13% Vol.

100% Pinot noir

Rotwein aus dem Wallis (Schweiz), produziert von Gérald Clavien, Cave Les deux Crêtes in Miège (auf Karte anzeigen).

First Publication: 10-3-2014

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