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Zürich: Schnauze leer. (Freitag, 10. Januar 2014)

41. Flasche

Erleuchtung durch Schlagsahne

Valais Pinot noir Vétroz Germanier Balavaud GC 2011

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach frisch zertretenen Kirschen. Mit der Bewegung kommt eine leichte Modernote auf – ich denke an die bröckelnde Rinde von einem mehrjährig gereiften Hartkäse. Eine Drehung später steckt meine Nase in einem dicken, selbst gestrickten Winterpullover und sucht nach dem Loch für den Kopf – das Teil ist schon etwas älter und auch nicht ganz frisch gewaschen. Der Geruch ist trocken, aber da ist auch eine Note von Milch und Rohschinken. Später lese ich auf der Etikette: «nez animal aux notes de laine, de cuir et de sureau». Ich finde es interessant, wenn sich die Winzer etwas präziser zum Aroma ihres Weines äussern, wenn sie eigene Worte suchen, Vergleiche wagen – gewöhnlich geben sich die Walliser damit zufrieden, auf das Leitaroma Kirsche hinzuweisen, das sich in jedem Pinot noir findet.

Heute habe ich am Hauptbahnhof einen Mann in die S-Bahn einsteigen sehen, der sich kaum auf den Beinen halten konnte. Er war gross und dünn, hatte lange gelblich-graue Haare, ein fahles Gesicht und eingefallene Augen. Er trug eine ausgewaschene Jacke, löchrige Bluejeans schlotterten ihm um die Knie, seine Schuhe wirkte zwei Nummern zu gross und völlig ausgetreten. Er schwankte gefährlich in alle Richtungen uns sah so aus wie eine Boje in der Brandung der abendlichen Pendlermassen. Offenbar stand er unter dem Einfluss stärkerer Drogen. In der rechten Hand hielt er eine dieser Spraydosen mit Schlagsahne, wie sie gern auf Kinderpartys zum Einsatz kommen. Aus ihr kringelte er immer wieder einen kleinen weissen Schaumberg auf die Innenfläche seiner linken Hand – und schleckte ihn dann mit ein paar wenigen Schlägen der Zunge weg. Was mich faszinierte war, dass der Mann glücklich wirkte, nein mehr noch: verzückt – so wie man das nur aus Trickfilmen kennt, wenn etwa Pluto einen grossen Knochen bekommt. Sein graues Gesicht sah aus, als werde es von einer inneren Energie erhellt, als wirke etwas aus tieferen Schichten – ich kann es nicht anders sagen: der Mann gab das perfekte Bild eines Erleuchteten ab.

Im Mund ist der Wein komplex, mit gut eingebundener Säure, ohne Tannin. Nebst der Kirsche fällt von innen zunächst ein markanter Schokolade-Duft auf, der auch im Abgang bleibt. Vielleicht ist da auch etwas Orange mit im Spiel, Orangenschale vielmehr. Auch jetzt kann man aus dem Fleisch des Weins eine Note von alter Käserinde herauskauen – oder vielleicht auch von fermentiertem Tofu. Dann und wann huscht auch ein leichter Eingeweide-Duft vorbei, nicht Leber, eher Nieren, das Fett von Kalbsnieren.

Getrunken am Freitag, 10. Januar 2014 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Flaschenpost» (Fr. 22.90 im November 2013).

Nächste Flasche

Valais Pinot noir de Vétroz Jean-René Germanier Balavaud Grand Cru

AOC, 2011, 13% Vol.

100% Pinot noir

Rotwein aus dem Wallis (Schweiz), produziert von Jean-René Germanier SA in Vétroz (auf Karte anzeigen). Oenologue associé Gilles Besse.

First Publication: 11-1-2014

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