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«Österreichische Küche»

In den «Letzten Tagen der Menschheit» lässt Karl Kraus seinen Nörgler klagen, dass das Lebensmittel dem Menschen zu sehr Lebenszweck geworden sei – zweifellos hatte er dabei in erster Linie seine Landsleute vor Augen, denen man spätestens seit den rauschenden Festen des Wiener Kongresses immer wieder vorgeworfen hat, sich mehr fürs Kulinarische als für Politische zu interessieren. Eine solche Reputation will erworben sein – glaubt man dem Gastrosophen Peter Peter, so arbeiten die Österreicher schon seit 27 000 Jahren daran. Zu diesem Zeitpunkt nämlich, quasi in der Bauchfalte der Venus von Willendorf, lässt er seine «Kulturgeschichte der österreichischen Küche» beginnen. Die ersten Kapitel rapportieren relativ chronologisch, was man über die Küchen der Kelten und Römer, der mittelalterlichen Klöster, der Renaissance-Fürsten und Mediziner weiss. In der Barockzeit muss sich Wien auch mit einer besonderen Kost und manch exotischem Luxus körperlich gegen die Angriffe der Türken gewappnet haben – Peter zitiert den Wanderprediger Abraham a S. Clara: «Schaut, meine Wiener! Der sterblichen Wampen, dem futtergierigen Schmerbauch, diesem üppigen Märzenkalb, diesem verkleideten Sautrog, dem Leib, schlagt man nichts ab, es koste, was es wolle.»

Offenbar war die Reputation der Wiener zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich weit gediehen. Die folgenden Kapitel sind dann eher thematisch orientiert. Es geht um frühe Kochbücher, um das «Kaffeehaus als Inkarnation des Abendlandes», um die Braukunst, um Blaufränkisch und Veltliner («Vergorene Heimat»), Buschenschanken, Wiener Schnitzel, die Küche der Habsburger, die böhmische Köchin usw. Auch die jüngsten Entwicklungen der österreichischen Kulinarik werden reflektiert: die Besinnung auf regionale Spezialitäten etwa oder die Pflege alter Kultursorten. Ein besonders interessantes Kapitel ist dem «Beisl» gewidmet, denn hier versucht der Autor das Spezifische der heutigen Wiener Küche herauszuarbeiten. Schon in seiner Einleitung attestierte Peter den Österreichern Küche einen «bodenständig-eleganten Wertekonservativismus am Kochtopf und im Service», der dazu geführt habe, dass heute als spezifisch österreichisch gilt, was es früher europaweit gab: Beuschel (Lunge), Kalbskopf usw. In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Martina Hohenlohe von Gault-Millau: «In manchen Dingen herrscht in Wien stilles Übereinkommen darüber, dass die Qualität darin liegt, dass sich eben nichts ändert.» Und Karl Köstlin analysiert: «Die Wiener Küche ist ein Deutungsphänomen, ein Ergebnis einer lokalen Selbstfeier, in deren Mittelpunkt eine mit dem ‹Antimodernen› spielende Lebenskunst steht.»

Die Kulturgeschichte ist mit zahlreichen Rezepten aus allen Epochen ausgestattet, die vom einfachen Althallstätter Ritschert (einer prähistorischen Version des berühmten Kärntner Gerstenrisottos) bis zum etwas komplizierteren Marbré vom Kapaun reichen, für dessen Zubereitung es nebst einem kastrierten Hahn auch zwei Kalbs-Euter, Schweinsohren, Ochsenobergaume, Wammerl und Kaiserfleisch braucht. Das Buch ist reich illustriert, wobei alle Bilder in einem altmodisch und etwas geschmäcklerisch wirkenden Sepia-Ton wiedergegeben sind. Die Texte sind flott geschrieben, die Fakten werden trotzdem mit einer gewissen Genauigkeit behandelt. Schade nur, weist das Buch seine Quellen bloss in Teilen aus – ein richtiger Fussnoten-Apparat würde es dem Leser gestatten, angedeutete Zusammenhänge selbst weiter zu verfolgen. So ist das Buch gewissermassen die Endstation von so manchem Gedanken. Das Wasser läuft einem trotzdem immer wieder im Mund zusammen – und die Mittel heiligen ja schliesslich den Zweck.

Diese Rezension erschien erstmals am 11. Dezember 2013 im Feuilleton der «Neuen Zürcher Zeitung», S. 51.

Peter Peter: «Kulturgeschichte der österreichischen Küche». München: Verlag C.H.Beck, 2013.

First Publication: 3-12-2013

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