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Die Minoriten-Kirche von Eger zählt zu den schönsten spätbarocken Bauten Ungarns – Putte auf dem Unterbau des Altars in der ersten nördlichen Seitenkapelle. (Sonntag, 10. November 2013)

26. Flasche

Genuss und Traurigkeit

Valais Pinot noir Saint-Guérin 2012

Von aussen und unbewegt riecht der Wein eher süsslich, nach dunkler Kirsche und Lakritze, ein wenig nach angebranntem Kuchenteig. Mit der Bewegung wird eine unreife Charentais-Melone angeschnitten, daneben werden frisch gewaschene Kleider gelegt – und darauf ein leicht welkes Veilchen. Im Mund ist der Pinot noir leicht pfeffrig und eher süsslich, kräftig und harmonisch – aber nicht sehr dicht. Von innen riecht der Wein nach Johannisbeere und eingelegten Süsskirschen, dazu ein wenig Kakao und Lerche im Herbst. Mit der Zeit treten Brombeer-Aromen stärker hervor.

Ich neige manchmal dazu, mich in existenzielle Gefühle hinein zu steigern – als sei das Leben ein Duell, bei dem ich im nächsten Moment erschossen werden könnte. Natürlich ist das so. Aber die allgemeine Feststellung unserer Vergänglichkeit und Verletzlichkeit beschäftigt mich nicht sosehr, ja ich finde dieses Schulterzucken vor dem Schicksal in den meisten Fällen sogar eher banal. Was mich mehr interessiert, sind bestimmte Gefühle, die unter Bedrohung entstehen – egal, wie real und konkret diese Bedrohung auch sein mag. Man könnte viel dazu sagen, denn es sind Momente, in denen sich das eigene Leben und Erleben weicher anfühlt und Dinge zu uns durchsickern, die sonst an uns abblitzen. Wobei die Angst als Gefühl zwar mächtig ist und lähmend – aber ohne Bedeutung. Was mich heute vor allem beschäftigt hat, war die erhöhte Genussfähigkeit, die unter dem Druck existenzieller Bedrohung entsteht. Als ich an diesem Sonntag auf kleinen Strassen durch das nördliche Gebirge Ungarns von Eger nach Westen in Richtung Budapest fuhr, schien mir jede Kurve ein Vergnügen. Die lausigen Industrie-Karotten, die ich am Mittag vor einem Rapsfeld knabberte, sie hatten einen tief-würzigen Geschmack – als sängen sie mir das grosse Lied der Scholle. Und das Abendlicht, das sich um diese Jahreszeit mitten am Tag schon über die Pannonische Tiefebene senkt, es schien mir als hätte ich einen Logenplatz in der grossen Oper des Lebens. Dass Fragilität die Dinge kostbarer macht, trifft natürlich zu, gehört aber auch eher zu den Gemeinplätzen. Was mich heute nicht in Ruhe liess, war das Gefühl von Traurigkeit, das diese ganzen Genüsse der Welt begleitet hat. Ich habe mich gefragt, ob es einen nativen Zusammenhang gibt zwischen Genuss und Traurigkeit, ja ob sich eine tief empfundene Form des Genusses vielleicht gar nur unter dem Velum einer gewissen Bedrücktheit entwickeln kann. Genuss als eine Form von Melancholie?

Dieser Pinot noir ist ein freundlicher Wein, ein guter Kumpel – mit einer frivolen, allerdings auch etwas banalen Fruchtigkeit.

Getrunken am Sonntag, 11. November 2013 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Provins» in Sion (Fr. 14.90 im Oktober 2013).

Nächste Flasche

Valais Pinot noir Saint-Guérin

AOC, 2012, 13.5% Vol.

100% Pinot noir

Rotwein aus dem Wallis (Schweiz), produziert von Provins Valais in Sion (auf Karte anzeigen). Charte d'Excellence.

First Publication: 11-11-2013

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