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Die Abhänge des Walliser Bättlihorns, frisch mit Schnee begossen, verändern im Licht der letzten Sonnenstrahlen ständig ihre Farbe. (Sonntag, 3. November 2013)

24. Flasche

Dreck an den Stiefeln

Langhe Rosso Elio Altare Larigi 2009

Von aussen riecht der Wein unbewegt im ersten Moment nach leicht gärenden Früchten, dann aber steigt Lakritze auf, gefolgt von einer Mischung aus Salbei und Milch, die Milch ist ein bisschen angebrannt. Mit der Bewegung tritt eine dunkle Kirsche hervor, der Salbei bekommt eine leicht medizinische Note. Im Hintergrund steht ein zu lange gebackener Schokoladekuchen, noch ofenwarm. Im Mund ist der Barbera kompakt, eher sauer, etwas bitter, ein kleinwenig pelzig. Von innen drängen sich Sauerkirschen und schwarze Johannisbeeren vor, ausserdem ein Parfum, wie es auch in Lammfleisch vorkommt – etwas Feierliches und dabei doch nicht ganz Reines. Auch Eukalyptus weht vorbei, doch dann schmecke ich plötzlich ein Stück Schokolade, auf das ein Tropfen kräftiges Urin gefallen ist. Gleich danach melden sich Noten von Karamell und Erdbeere. Das genaue Aroma hängt offenbar auch von der Menge Weins ab, die ich in den Mund nehme – fast jeder Schluck ist anders. Diese Erlebnnis-Dichte setzt im Weinglas die kleine Wanderung fort, die ich heute unternommen habe.

Nie hat das Licht eine Geduld wie im Herbst. Als ich während der Abendstunden von der Riederalp nach Mörel abstieg, hatte ich ständig Bättlihorn und Füllhorn vor Augen, die das Tal des Rotten vom Saflischtal trennen. Die Spitzen der Berge waren frisch mit Schnee begossen und sahen aus wie Stücke eines Kuchens, der noch warm mit Puderzucker bestäubt wurde. Ganz langsam begann sich die Sonne von den Abhängen zurückzuziehen und produzierte dabei auf dem Schnee unendlich viele Farbnuancen zwischen Orange, Kupfer, Rosa und Rubinrot. Die Schattenzonen wirkten wie die Flecken einer geheimnisvollen Flüssigkeit und leuchteten in einem zugleich hellen und gebrochenen Indigo – im Hintergrund spielte der Himmel sämtliche Blau- und Grautöne durch. Das war kein protziges Spektakel, wie es das Sommerlicht bietet, eher ein intimes Geschehen – ein älteres Liebespaar, das sich mit einem warmen Druck der Hände voneinander verabschiedet.

Meine Füsse stiessen bei jedem Schritt Laub in die Luft, ein andauerndes Rascheln begleitete meinen Gang durch diese sonst völlig stille Welt. Es gibt jetzt keine Insekten mehr, die ein Abendkonzert anstimmen – und die Singvögel sind nach Süden abgezogen. Dann und wann nur erschreckte mich der kehlige Warnschrei einer Elster, die ich aufgescheucht hatte – als hätte sie nicht damit gerechnet, dass noch jemand vorbeikommt. Es schien mir, als seien die Pflanzen dabei, alle Kraft in ihr Innerstes zurückzuziehen: der Wind trieb mir die rostigen Nadeln der Lärchen ins Gesicht, die Tannen wirkten, als sei ihr Grün verstummt, und die Farne lagen nass und wie erschlagen über den Steinen. Vielleicht gerade weil sich die Natur so offensichtlich zurückzog, wirkte alles besonders kostbar auf mich, besonders bedeutend auch. Ich fühlte mich traurig, aber in meiner Brust gab es nicht nur Schwere, sondern auch so etwas wie Grösse und Schönheit. Es war nicht die Natur allein, die ich bewunderte – ich fühlte mich berührt vom schieren Faktum der Existenz.

Auf eigentümliche Weise spielt dieser Barbera ganz verschieden Charaktere aus. Ich finde durchaus Aromen in ihm, die mich an ganz einfache Landweine erinnern – die Sorte, die man nur im Produktionsgebiet selbst trinken mag. Dann aber hat er auch eine geradezu ritterliche Seite – als verteidige er tapfer bestimmte Düfte, die es sonst schwer hätten zu bestehen. Ich habe Barbera-Weine aus dem Piemont getrunken, die mir unendlich elegant vorkamen, Dandys am Gaumen, wie zum Beispiel der Brico dell'Ucellone. Dieser hier ist anders, er hat auch eine bäuerliche Seite und jede Menge Dreck an den Stiefeln. Er gibt sich nicht einfach hin – sondern bringt mich dazu, seiner Geschichte der Welt zu horchen.

Getrunken am Sonntag, 3. November 2013 im Wasserzimmer meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Geschenk von Elio Altare (Oktober 2013).

Nächste Flasche

Langhe Rosso Elio Altare Larigi

DOC, 2009, 15% Vol.

100% Barbera

Rotwein aus dem Piemont (Italien), produziert von Elio Altare Azienda Agricola Cascina Nuova Fraz. Annunziata La Morra (auf Karte anzeigen).

First Publication: 4-11-2013

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