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Am frühen Abend bei der Boots-Anlegestelle am Bürkliplatz in Zürich. (Sonntag, 19. Oktober 2013)

19. Flasche

Stecken geblieben

Barbera d'Asti Bricco dell'Ucellone 2009

Der Wein riecht von aussen unbewegt nach Alkohol und nach Salbei, im Untergrund wirken getrocknete Zwetschgen. Mit der Drehung spielt sich Frucht in den Vordergrund, eher säuerliche Kirsche, dazu gesellt sich ein süssliches Parfum auf halbem Weg zwischen Veilchen, Rose und Maiglöckchen. Darüber schwebt auch etwas von eben ausgelöschter Kerze.

Im Mund ist der Wein fleischig und voluminös, sauer, süss und etwas bitter zu gleichen Teilen, weich und kräftig. Von innen überwiegt ein Aroma, das an stark gekochte Zwetschgen erinnert, wie sie einem auf altmodischen Kuchen begegnen. Dazu gesellt sich die Rinde eines im Holzofen gebackenen Brotes. Der Barbera wirkt reif, als habe er sein ganzes Potenzial realisiert.

An der Wühre, gewissermassen zu Füssen des Pferdes von Hans Waldmann, der 1476 die Zürcher Truppen in die Schlacht von Murten geführt hat, sass am früheren Abend ein beleibtes Mädchen von vielleicht zehn bis zwölf Jahren. Sie hatte dünnes Haar, eine dicke Brille und trug eine viel zu voluminöse Jacke aus einem wattierten Stoff, der sie wie die künftige Braut von Bibendum aussehen liess – in violett. Ihr Blick huschte mir entgegen wie ein Hund, der allen möglichen Duftspuren gleichzeitig folgt – und in ihren Augen stand geschrieben: «Bitte beachte mich nicht». Ich tat, wie mir geheissen, und ging an ihr vorbei – ohne sie anzuschauen. Drei Minuten später aber, ich passierte eben das Hotel «Zum Storchen», beschloss ich, umzukehren, nochmals vor ihr durchzulaufen – und ihr das freundlichste und aufmunterndste Lächeln zu schenken, das ich glaubhaft hinbekommen konnte. Allein das Mädchen war weg. Und da ich mein Lächeln nicht Hans Waldmann schenken wollte, blieb es in mir stecken.

Giesst man sich ein Glas von diesem Barbera ganz frisch ein, so findet man auch in ihm die mit einem leichten Seifenwasser gewaschene Haut, die wir in vielen seiner Brüder entdeckt haben. Kurz darauf aber macht sich eine Frucht breit, die ein Hybrid aus Himbeere und Granatapfel sein könnte – um dann in Richtung Zwetschge mit Salbei zu ziehen. Lässt man das Glas umgekehrt etwas stehen, so machen sich mit der Zeit sogar Bratendüfte breit. Spätestens jetzt wird deutlich, dass dieser Barbera nicht ein Potenzial hat, sondern viele. Er hat sich also nicht realisiert, sondern realisiert sich ständig neu. Sollten wir ihm dafür nicht unser Lächeln schenken?

Getrunken am Sonntag, 20. Oktober 2013 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft in der «Enoteca Caffe Rocca» in Monforte D'Alba (€ 39.00 im Oktober 2013).

Nächste Flasche

Barbera d'Asti Bricco dell'Ucellone

DOCG, 2009, 16% Vol.

100% Barbera

Rotwein aus dem Piemont (Italien), produziert von Braida (Giacomo Bologna) in Rocchetta Tanaro (auf Karte anzeigen).

First Publication: 20-10-2013

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