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TGV Lyria von Paris Gare de Lyon nach Zürich Hauptbahnhof. (Donnerstag, 26. September 2013)

11. Flasche

In guten Händen

Barbera d'Asti Pico Maccario Tre Roveri 2010

Unbewegt riecht der Wein nach Orange, nach kandierter Orange – um genau zu sein. Aber kann ich im Moment überhaupt genau sein – mit einer übermütig vor sich hin sabbernden Nase, krachenden Bronchien, Fieber und einem Kopf, der sich wie ein überlastetes Tranformatorhäuschen anfühlt? Seit einigen Tagen plagt mich eine Erkältung – erst stand nur die obere Rachenpartie in Flammen, allmählich aber ist die Entzündung durch sämtliche Bereiche des Halses bis tief in die Bronchien hinab gewandert. Natürlich nehme ich Medikamente aller Art – schleimlösende und fiebersenkende Pillen, dazu Lutschtabletten gegen die Halsschmerzen und einen Spray zu Befreiung der Stirnhöhlen. Verspräche es nur etwas Linderung, so würde ich im Moment wohl ohne jedes Zögern auch eine Atombombe schlucken. 

Das sind wahrscheinlich keine Bedingungen, die nach dem Entkorken einer Flasche rufen. Oder vielleicht doch? Gerade so wie sich das Aromabild des Weins während der Verkostung laufend wandelt, bin doch auch ich als Trinker einer ständigen Veränderung ausgesetzt. Ich weiss das zu jeder Zeit – spüre es aber vielleicht in einem kränklichen Zustand ganz besonders stark.

Bewegt gesellt sich eine Pfefferminznote dazu – und im Untergrund besänftigt etwas dunkle Schokolade. Sie wandelt sich zu Ovo-Sport, stimmt malzige Töne an. Der Duft erinnert auch an einen Wundverband, mit Desinfektionsmittel oder Wundcreme drin – ist es Vita-Merfen? Der Verband ist nicht ganz neu – die Creme aber noch feucht. Es tut gut, an dem Wein zu riechen, es dämpft meinen elektrisierten Körper ein wenig – und ich fühle mich in guten Händen. Ja der Duft scheint sogar auf meine Bronchien zu wirken.

Im Mund ist der Barbera bitter und scharf, vom Alkohol merke ich nichts und Tannine scheint es keine zu geben. Vielleicht ist mein Zustand für die Wahrnehmung der Mundgefühle doch ein zu grosses Hindernis. Schon der zweite Schluck allerdings fühlt sich besser an – Wein ist eben auch ein Betäubungsmittel. Ein so effektives offenbar, dass ich nun sogar durch die Mundwinkel Luft einsaugen kann – ohne deshalb sofort los zu husten. Von innen duftet der Barbera nach einem Stück in Wein getunktes Brot, nach Wellkarton und nach dünnem Haar, das feucht geworden ist – ich stecke meine Nase auch in ein Zugabteil, in dem Bier getrunken wurde, allerdings ist es eine Weile her und ich bin nicht ganz sicher, ob die Flaschen noch herumstehen.

Bestimmt ist meine Wahrnehmung dieses Barbera nicht sehr akkurat – und doch ist es eine Wahrnehmung dieses Weins. Sicher ist die Verkostungs-Situation nicht optimal – ernst aber ist sie trotzdem. Und bin ich nicht eigentlich bei jeder Weinprobe in einer ganz speziellen Situation?

Im Abgang ist der Barbera eher bitter – ganz als wollte er sagen: keine Angst, ich bin die beste Medizin. Auch kratzt es beim Schlucken ein bisschen im frisch ausgehusteten Hals. Gut tut es trotzdem.

Getrunken am Donnerstag, 26. September 2013 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft bei «Coop» in Zürich (Fr. 18.90 im Juli 2013).

Nächste Flasche

Barbera d'Asti Superiore Pico Maccario Tre Roveri

DOCG, 2010, 14% Vol.

100% Barbera

Rotwein aus dem Piemont (Italien), produziert von Pico Maccario in Mombaruzzo (auf Karteanzeigen).

First Publication: 27-9-2013

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