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Jedes Boot hat auch ein Heck

Samos (Greece) Varsamos
Kleiner Hafen neben der Bootswerft
Sonntag, 18. August 2013

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Gibt es einen besseren Ort auf dieser Welt als den Bug eines Schiffes, das von fröhlich grunzenden Winden durch die See getrieben wird? Einem scharfen Schwert gleich schneiden wir uns in die Zukunft ein, die hier wirklich gläsernes Meer ist – und ohne Ahnung unseres Kommens. Am Bug eines Schiffes sind wir die Gegenwart, die Immanenz, die Kraft, die den nächsten Moment gebiert. Der scharfblickende Lynkeus, der als Lotse sicher am Bug der Argo stand, sein Auge hat die Insel Samos nicht nur zuerst erblickt, es hat sie gleichermassen aus dem Nichts hervorgebracht – ganz so wie das Neugeborene mit seinem ersten Schrei die Welt erschafft.

So sollte es weitergehen, das Leben ein einziger Schöpfungsschrei. Leider nur blicken wir irgendwann zurück und müssen dabei entdecken, dass zu dem Boot auch ein Heck gehört. Wir sehen, wie unsere Schaffenskraft das Wasser aufgewirbelt hat, wie unsere rauschende Fahrt einen schäumenden weissen Streifen in den Planeten kerbt. Wir sehen aber auch, wie schnell die Spur unserer Passage schwindet und bald nichts mehr auszumachen ist.

So kraftvoll wir am Bug auch mit dem Leben tanzen mögen – am Heck klebt es sich uns als lahme Metapher an den Arsch.

Bleibt als Ausweg nur die grosse Flaute – oder aber ein rechter Schnaps.

Oder noch könnten wir die Geschichte des Steuermanns erzählen, der am Heck der Argo stand. Ancaeus, so weiss die «Enzyclopaedia Britannica» von 1911, war ein König von Samos, das schon zur Zeit der grossen Helden berühmt war für seine Weine. Während er einen neuen Rebberg pflanzte, sagte ihm ein Seher voraus, dass er den Wein dieser Trauben nie trinken werde. Wenig später übernahm der König für Jahre das Ruder der Argo und lenkte das Boot geschickt durch so manches Abenteuer. Als er schliesslich, gesund und munter, in sein Land zurückkehrte, waren die Trauben des königlichen Rebbergs reif. Ancaeus presste etwas Saft aus einigen Trauben in einen Becher, erhob ihn zu seinen Lippen und machte sich dabei über den Seher lustig. Diesem fiel bei der Gelegenheit ein altes englisches Sprichwort ein: «There's many a slip 'twixt the cup and the lip» (in den «Adagia» von Erasmus heisst das lateinische Pendant: «Multa cadunt inter calicem supremaque labra»). Und tatsächlich erfuhr der König in eben diesem Moment, dass ein Wildschwein seine Ländereien verwüste. Er setzte den Becher ab, ergriff sein Schwert, eilte hinaus und wurde prompt von dem Tier getötet.

Zwar wissen wir nicht genau, woher die «Enzyclopaedia Britannica» diese schöne Legende hat (bei Apollonius Rhodius, auf den sie verweist, jedenfalls sucht man sie vergeblich) – aber wir lernen doch, dass es die Männer am Heck sind, deren Geschichten überdauern. Und wenn wir jetzt auch noch eine nützliche Moral aus der Episode quetschen möchten, dann die: Wer einen Wein verkosten will, der sollte sich durch nichts von seinem Vorhaben abbringen lassen – auch durch ein Wildschwein nicht, das den Garten umgräbt.

Siehe auch

  • Ein Rezept zur Episoda: Fava (Dip aus halbierten Gelberbsen mit Olivenöl, Zwiebeln und Kapern aus dem Salz)
  • Episoda – eine Sendung für Santa Lemusa (Einführung)
  • Biographie von Peter Polter

First Publication: 31-8-2013

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