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Die Füsse der Kouroi

Samos (Greece) Heraion
Südwestliche Ecke des Grossen Tempels der Hera
Donnerstag, 15. August 2013

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In archaischer Zeit stifteten reiche Griechen steinerne Statuen nackter Männer, sogenannte Kouroi, die entlang der Heiligen Strasse im nordöstlichen Bereich des Heraion von Samos aufgestellt wurden. Einige dieser Männer waren riesig, vier bis fünf Meter hoch ragten sie in den Himmel. Das Heraion war eines der bedeutendsten Heiligtümer antiker Zeit – denn die künftige Gemahlin von Zeus soll im Bereich des Tempels, am Ufer des Flüsschens Imbrasos, unter einer Weide zur Welt gekommen sein. Zweifellos wurden die Kouroi hier zu Ehren von Hera aufgestellt – oft sind auch die Stifter bekannt, die sich per Inschrift auf ihrer Plastik haben verewigen lassen. Man weiss indes nicht, wen die Kouroi darstellen, was sie bedeuten. Die Archäologen sind sich einig, dass die Figuren auf keinen Fall Gottheiten repräsentieren. Und man kann annehmen, dass das Aufstellen einer solchen Statue für die Stifter ein Zuwachs an Prestige verhiess. Vielleicht stellen die Kouroi besondere Diener dar, die man der Gottheit zur Verfügung stellte – oder es sind mythische Ahnen der Stifter gemeint. Ihre Bedeutung dürfte sich dem antiken Besucher des Heraion auch ohne Erklärung erschlossen haben – für den Betrachter von heute hat sich ihr Sinn verloren. Wir wissen also nicht, was wir da bewundern.

Wir sehen aber, dass sich diese Männer schön gemacht haben. Sie haben ihre Haare zu eleganten Locken gebuckelt und sich auch den Pubes drapiert. Im Gegenzug wirken sie, als wäre ihnen der Strom ausgegangen. Selig lächelnd blicken sie stur geradeaus, halten ihre Arme wie gefrorene Lammkeulen am Körper, und ihren Schultern sind so gleichmässig, dass man den Raum mit ihnen vermessen könnte. Nur ihre Füsse täuschen eine Schrittbewegung vor. Dass sie sich wirklich vom Fleck rühren könnten, glaubt man zwar kaum, und doch sind sie nur wegen ihrer Füsse von dieser Welt. Während der Grossteil des Kouros völlig stumm ist in seiner makellosen Schönheit, kommen einem die Füsse vor als deuteten sie etwas an, als spüre man in ihnen so etwas wie den Wunsch nach einer Geste. Würde der Kouros zu sprechen beginnen, dann auf jeden Fall zuerst mit den Füssen. Käme doch etwas Leben in diese bleierne Perfektion, dann stiege es auf jeden Fall von den Füssen her in den Stein auf. Und könnte die absolute Abwesenheit, die der Kouros ausstrahlt, irgendeine Relativierung erfahren, dann müsste auch sie von den Füssen ausgehen.

Denn der Kouros verzichtet auf jede Interaktion mit seiner Umgebung, er will nur wahrgenommen werden – ohne selbst einen Blick auf etwas zu werfen, und auch ohne zu prüfen, ob er wirklich gesehen wird. Er ist frei, frei von seiner Umwelt, frei von uns – seine Füsse sind das einzige, das uns entgegenkommt. Auch in mir steckt ein Kouros, oder zumindest der Wunsch nach einem schieren Dasein ohne Verbindungen, ohne Abhängigkeiten. Aber auch ich kann meine Füsse nicht längerfristig von der Erde nehmen – und also erinnern gerade sie mich immer wieder daran, dass ich auf dieser Welt doch etwas bin und auch bedeute.

Siehe auch

  • Ein Rezept zur Episoda: Bougiourdi (Auflauf aus Tomate, Gemüsepaprika und Zwiebel mit Feta-Käse und Oregano)
  • Episoda – eine Sendung für Santa Lemusa (Einführung)
  • Biographie von Peter Polter

First Publication: 29-8-2013

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