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Die grosse Fresserei

Gräsheden (Sweden) Görälven
Dalarnafjällen, nordwestlich von Sälen
Freitag, 26. Juli 2013

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Es gibt Menschen, die brauchen die Wildnis als Stärkungsmittel. Sie müssen durch Sumpfland waten, sich mit Insekten herum plagen, sich an scharfen Steinen tiefe Schrunden holen, sich den Nacken in der Sonne versengen, sich das Gehirn von Windböen aus der Schale blasen und ihr Hab und Gut vom Gewitterwasser aufweichen lassen – alles nur, um zu spüren, dass Natur in ihnen ist. Sie sehen, wie das Leben um sie herum keine Grenzen kennt, keine Moral und kein Mitleid, wie gleichgültig Existenzen ausgelöscht und andere neu begründet werden, wie der Hunger als das oberste Gesetz alles regelt und bestimmt – ein Hunger, der nie zu stillen ist und dazu führt, dass alles ständig nagt und beisst, schluckt und schnappt, aussaugt und zermalmt, zersetzt und überfäult. Die Tatsache allein, dass sie dieser grossen Fresserei für den Moment entgehen, stärkt den Liebhabern der Wildnis das Gemüt.

Andere fühlen sich genauso verlockt, dem Ruf des Waldes, dem Zirpen der Tundra, dem Flöten des Ufergrases zu folgen – allein sehen sie überall vor allem die Gefahren. Jede Teichmuschel, die ein paar Luftblasen ins Wasser ablässt, evoziert in ihren Köpfen grässliche Bilder der monströsen Fauna, die sich im Uferschlamm verbirgt. Auch die Ängstlichen wissen, dass das Leben keine Limiten kennt, aber sie fühlen sich nicht stark genug, diese Tatsache zu akzeptieren – und also provoziert die Wildnis in ihnen ein Gefühl der Ohnmacht und Schwäche. Schon beim Bad in einem kalten Fluss des Nordens spüren sie ihre eigenen Grenzen – und wenn sie sich mit rasendem Herzen, schwindelndem Kopf und sausenden Ohren wieder in ihre Kleider quälen, dann ist es für sie nicht mehr zu hören: das grosse Lied der Wildnis.

Ob man zu den Wilden gehört oder aber zu den Ängstlichen, ist vielleicht nur eine Frage der Überwindung, vielleicht aber auch eine Frage des Vertrauens – oder gegebenenfalls auch nur der Wassertemperatur.

Siehe auch

  • Ein Rezept zur Episoda: Blåbärssås (Sauce aus Heidelbeeren und Wein mit Wacholder und Zitronenzeste)
  • Episoda – eine Sendung für Santa Lemusa (Einführung)
  • Biographie von Peter Polter

First Publication: 6-8-2013

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