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Alsace Riesling Vignerons de Pfaffenheim Grand Cru Zinnkoepfle 2006

Von aussen unbewegt hat der Wein einen etwas künstlichen Grapefruit-Duft, der auch ein wenig an warmem Marzipan denken lässt. Mit der Bewegung wird das Parfum härter und leicht metallisch – ein frisch gereinigtes, schon etwas älteres Herren-WC mit einem Steinguss-Boden. Im Mund ist der Wein etwas bitter, weder sehr süss noch sehr sauer, eher medizinisch. Von innen schmeckt der Riesling, als sei die Flasche schon ein paar Tage offen gewesen, er hat aber auch eine schnapsige Note. Das Aroma erinnert vor allem an Quittengelee und ein wenig an gekochten Zitronensaft oder eine im Ofen gebackene Zitrone. Es ist, als stimme etwas nicht ganz mit dem Wein, als sei er nicht ganz glücklich gealtert.

Auch von meinen Eltern könnte man wohl sagen, sie seien nicht ganz glücklich gealtert. Heute bin ich mit ihnen «in die Misteln gegangen», wie sie es nennen. Wir sind mit ihrem Auto ins Elsass gefahren, nach Hagenthal-le-Haut, wo sie offenbar seit vielen Jahren schon immer kurz vor der Adventszeit «in die Misteln» gehen. Die Anfahrt erfolgte präzise per Navigationsgerät. Meine Mutter stieg kaum aus dem Auto. Sie hatte eine Thermosflasche mit Tee in ihre Tasche gepackt, die während der Fahrt vollständig ausgelaufen war – dabei wurden ihre Handschuhe und ihre Mütze so durchnässt, dass sie nicht mehr zu tragen waren. «Du glaubst nicht, was mir in letzter Zeit alles passiert», klagte sie – und es kam mir vor, als spreche sie davon, wie ihr Schicksal in die Mechanik der Welt eingreife, wie der Krebs aus ihr herauswachse und sich allmählich auch in ihrer Umgebung breitmache, in den Dingen wirke, wenigstens.

Mein Vater hatte ein Werkzeug dabei, mit dem man Äste auch aus einer Distanz von etwa zwei Metern abzwacken kann – eine Art Gartenschere an einem hölzernen Stil, deren Schneidmechanismus man mit einer Schnur ansteuert. Mit diesem Ding tänzelten wir um die alten Apfelbäume und versuchten, möglichst schöne Mistelzweige zu ernten. Der Boden war matschig, die Luft war kalt – und aus dem Autofenster rief uns meine Mutter Befehle zu: «Schaut doch, dass auch ein paar schön grosse Zweige dabei sind!», «Nehmt nicht die mit den gelblichen Blättern!», «Samuel, könntest du nicht vielleicht ein bisschen auf einen Baum klettern?» Mein Vater regte sich fürchterlich auf. «Sie will halt auch etwas beitragen», versuchte ich zu beschwichtigen.

Wir wechselten zu den Bäumen auf der anderen Seite des parkierten Autos. Im Graben neben der Strasse lag eine tote Hirschkuh – ein grosses Tier, sicher von einem Auto angefahren. Von aussen waren keine Verletzungen zu sehen, aber der Bauchraum wirkte seltsam angeschwollen, als gäre etwas in ihr. Ein paar Schritte weiter sah ich einen leuchtend roten Apfel an einem völlig kahlen Ast hängen. Ich sprang und griff ihn vom Baum. Doch die Rückseite war zerfressen und meine Finger steckten tief in dem fauligen und feucht-kalten Fruchtfleisch drin.

Mit der Zeit nimmt das Misstrauen gegenüber dem Aroma dieses Weines zu. Was zu Beginn noch einen verschrobenen Charme hatte, erscheint nun schlicht als Fehler, als Unsauberkeit – als etwas, das so nicht sein sollte.

Getrunken am Samstag, 29. November 2014 beim Bahnhof St. Johann in Basel (Schweiz). Gekauft bei «Géant Casino» in Saint-Louis (€ 10.90 im November 2014).

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