1. Flasche
Piemonte Barbera Amaranto Borgovecchio 2011
Von aussen duftet der Wein frisch, leicht nach jungen Tannentrieben, mit zunehmendem Luftkotakt immer stärker nach Grenadine. Hätte ich ein Gegenüber, das mit mir verkosten würde, dann würde ich jetzt vielleicht «Kindersirup» sagen – und schauen, wie es reagiert, das Gegenüber. Allerdings gehöre ich selbst leider gar nicht zur schnellen Truppe der Aroma-Schützen. Es gibt ja Menschen, die brauchen bloss ihre Nase kurz über ein Weinglas zu halten – und schon schiessen ihnen tausend Dinge in den Sinn, haben sie tausend Assoziationen, die alle irgendwie treffen, sobald sie nur ausgesprochen sind. Denn was über Wein versprachlicht wird, bekommt immer sofort eine enorme Autorität – man ist so dankbar, dass man endlich Worte vor sich hat, und nicht mehr nur aromatische Andeutungen, handfeste Behauptungen statt flüchtiger Ahnungen.
Ich selbst benötige ganz viel Zeit bis ich Vorstellungen und Worte finde, die zu dem passen, was meine Nase und mein Gaumen erleben. Es ist als müsse immer wieder eine Brücke zwischen zwei Ufern geschlagen werden – dem Ufer der Wahrnehmung und dem Ufer der Erinnerung, der Sprache. Manchmal kommt es mir auch vor als liege ein zäher Nebel über jenen Bereichen meines Gehirns, in dem die Assoziationen an die Oberfläche treiben, wo sie von der Sprache gepackt werden können. Ich spüre, dass da Bilder und Vorstellungen sind, aber ich finde sie wegen des Nebels lange nicht – manchmal so lange, dass sie irgendwann wieder abtauchen. Im Mund ist der Wein eher weich und mager, mit einer leichten, oberflächlichen Säure, die sich im Abgang etwas verstärkt. Er hat kaum Tannine. Von innen riecht er ebenfalls nach Grenadine mit einem Hauch Brombeere, und da kommt auch nichts nach – höchstens im Abklang vielleicht eine Ahnung von Milch. Trotzdem: «Kindersirup» sagen wir nicht.
Getrunken am Samstag, 29. Juni 2013 auf der Riederalp (Wallis, Schweiz). Gekauft bei «Coop» in Zürich (Fr. 6.65 im Juni 2013).
First Publication: 29-6-2013
Modifications: 19-7-2013