Natürlich hat so ein Sadhu einen völlig anderen Alltag als, zum Beispiel, ein Reporter aus Santa Lemusa. Der «Gute Mann» zieht vielleicht seit Jahren von einem Shiva-Tempel zum nächsten, lebt von Almosen, raucht Haschisch, meditiert stundenlang – und hofft auf die endliche Erlösung vom immerwährenden Zyklus des Seins. Bestimmt hat sich der «Baba» von Familie und Freunden getrennt, allem Besitz abgeschworen und Keuschheit gelobt. Er trägt die Farben seines Gottes am Körper und im Gesicht, schleift vielleicht gar einen schweren Dreizack mit sich durch die Welt…
Das ist ein Leben, wie wir es uns kaum vorstellen können – nur schon der Dreizack allein wäre uns peinlich. Aber wie steht es um die Träume des Sadhu? Kann er sie kontrollieren? Muss er sie kontrollieren? Will er sie kontrollieren? Was ist, wenn im Schlaf der Finger einer feingliedrigen Hand ganz sachte über die Kuppe seines Bauches fährt – begleitet vom feinen Klimpern goldener Armreifen? Kann der «Heilige Mann» die warme Erregung annehmen, die sich bestimmt auch seinen Körper ab und zu im Traum einhaucht? Empfindet er das Erwachen dann als eine unerwünschte Erlösung? Oder muss er sich bestrafen? Betet er die Lust nieder? Schlägt er sich mit einem Stein auf das unerhörte Organ? Drückt er sich mit einem Lederriemen das Blut aus dem Begehren – und verflucht sich, dass sein Exemplar nicht die nötige Länge hat, einen Knoten hinein zu binden?
Wir wissen nichts über den Alltag eines Sadhu – und noch weniger über seine Träume. Und doch haben wir die seltsame Gewissheit, dass wir dem Heiligen im Schlaf wohl ein gutes Stück näher sind als im wachen Leben.
First Publication: 5-6-2013
Modifications: 22-6-2013