D | E  

Neuste Beiträge

HOIO und Cookuk

  • Das Tagebuch von Raum Nummer 8 (Susanne Vögeli und Jules Rifke)
  • HOIO-Rezepte in der Kochschule – das andere Tagebuch

Etwas ältere Beiträge

Grosse Projekte

Mundstücke

Gewürze aus Santa Lemusa

Abkürzungen

Das Haus meiner Eltern, vom Garten aus gesehen. (Freitag, 3. Oktober 2014)

71. Flasche

Tonnenweise nichts

Alsace Riesling Rémy Gresser Grand Cru Moenchberg 2008

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach einem frisch mit Zitronenschmierseife aufgewischten Kalksteinboden. Mit der Bewegung steigt ein Duft wie aus dem Chemiebaukasten auf: ein isoliertes Mineral, eine knochentrockene Frische. Im Mund ist der Riesling trocken, weder sauer noch markant süss, aber doch cremig, freundlich, weich. Von innen gerochen hat er all die etwas strenge Sauberkeit abgelegt, die ich von aussen an ihm wahrgenommen habe. Er lässt an sonnenbeschienenen Erdschollen denken, an taufeuchte Gesteinsbrocken, ein bisschen an hellen Weihrauch und an eine Tartellette au Citron, die man jetzt dringend essen oder in den Schatten stellen sollte.

Ich war heute auf Besuch bei meinen Eltern in Riehen. Wir sassen auf der Terrasse über dem herbstlichen Garten, die Sonne wärmte uns die Gesichter und wir tranken duftenden Filterkaffee. Dann hat meine Mutter eine jener doppelt gepolten Bemerkungen gemacht, mit denen sie mich immer wieder überrascht. Mein Bruder sprach davon, seine Wohnung neu einzurichten – und fügte schnell an: «aber wir kaufen alles neu». Darauf meine Mutter zu ihm: «Ja, wir haben ja auch nichts abzugeben» – und zwei Sekunden später im gleichen Ton zu mir: «also eigentlich haben wir natürlich tonnenweise». Zweifellos war der erste Teil ihrer Bemerkung eine leicht gekränkte Reaktion auf das «Ich will nichts von dir» in der Erklärung meines Bruders. Doch der zweiten Teil kam so schnell, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, dass man gleihzeitig gar nichts hat – und tonnenweise.

Vielleicht hat ja auch meine, in den letzten Jahren stetig zunehmende Abneigung gegen jede Anhäufung von Material etwas damit zu tun. Die Dinge, die man in der Gegenwart ständig verwendet, die brauchen keine Ordnung. Viel Material aber, das uns umgibt, hat vor allem mit unserer Vergangenheit zu tun – und wird nur unter gewissen Umständen auch in der Zukunft vielleicht wieder einmal in Gebrauch kommen. Und dieses Material muss geordnet werden, sonst liegt es herum und wirkt wie ein Störsender in unsere Gegenwart hinein. Das Problem ist nur, dass sich das Material nicht immer ordnen lässt – einfach weil es Dinge gibt, die mit gleichviel Berechtigung unter dem Buchstaben «S» einzuordnen wären, wie auch unter «V» oder «H». Dieses Material kann man nicht bändigen und also muss man entweder ausblenden, dass es jenseits stimmiger Verhältnisse wuchert, oder man schafft es aus seinem Leben. Klar ist, dass sich Material, das tonnenweise vorliegt, wahrscheinlich nicht im Zaum halten lässt – und es also besser ist, man hat gar nichts abzugeben.

Zum Glück verschwindet Wein fast von allein – in unserem Casus auf jeden Fall. Mit der Zeit kaut der Mund auch etwas Holunderblüte aus dem Riesling heraus – sonnenwarm.

Getrunken am Freitag, 3. Oktober 2014 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft in der «Boutique Clos 3/4» in Mulhouse (€ 19.40 im August 2014).

Nächste Flasche

Alsace Riesling Rémy Gresser Grand Cru Moenchberg

AOC, 2008, 12.5% Vol.

100% Riesling

Weisswein aus dem Elsass (Frankreich), produziert von Domaine Rémy Gresser in Andlau (auf Karte anzeigen). Vin Biologique. Passt laut Etikette auch gut zu «Poissons crus (Sushi)»

First Publication: 4-10-2014

Modifications: