Ist es nicht erstaunlich, dass es in keiner Religion einen Gott der Gewürze gibt? Wenn es einen Lord Pepper gäbe, vielleicht als Avatar eines mächtigen Urspeziums, dann stünde sein wichtigster Tempel auf jeden Fall in Kochi. Ab Mitte des 14. Jahrhunderts entwickelte sich die Stadt zum bedeutendsten Hafen der indischen Westküste und zu einem Zentrum für den Gewürzhandel mit China und den Ländern des nahen Ostens. Hier kauften die arabischen Händler den Pfeffer billig ein, den sie dann in Ägypten für teures Geld an die Venezianer weiter veräusserten – ohne indes je die Herkunft der begehrten Beeren preiszugeben. Das führte dazu, dass die Europäer den Pfeffer tatsächlich zeitweise für ein himmlisches Erzeugnis hielten und sich Paradiese mit Pfefferbäumen ausmalten. Die Suche nach dem Pfeffer, das Hauptmotiv der grossen Entdeckungsreisen von Columbus, Vasco da Gama und Co., kann deshalb auch gut als eine Suche nach dem Paradies, vielleicht gar als eine Suche nach dem Göttlichen verstanden werden. Es muss ein eigentümliches Gefühl gewesen sein, Hühnchen oder Braten mit einem derart sakralen Korn zu würzen.
Der heilige Schein des Pfeffers begann erst zu verblassen, als Vasco da Gama einen Seeweg nach Indien fand und im Mai 1498 an der Malabarküste landete. Kurz nach 1500 gründeten die Portugiesen in Kochi ihre erste Handelsniederlassung und bauten wenig später die erste europäische Festung auf dem indischen Subkontinent. Aus dem mythischen Pfeffer wurde so schnell ein gewöhnliches Handelsgut. Kochi aber ist eine Stadt geblieben, in der man Lord Pepper einen Tempel errichten möchte – auch wenn in dem Hafen längst andere Dinge in anderen Dimension ein und ausgeschifft werden.
First Publication: 3-1-2013
Modifications: 23-6-2013