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Blick von der Basler Wettsteinbrücke in Richtung Nordwesten. (Montag, 20. Oktober 2014)

73. Flasche

Gottes Pippi

Alsace Riesling Fritsch Grand Cru Schoenenbourg 2012

Von aussen unbewegt riecht der Wein nach einer leicht säuerlichen Tropenfrucht, eine im Kühlschrank überreif gewordene Mango vielleicht. Mit der Bewegung kommt etwas Frische hinein, zieht sich der Duft ein wenig zurück. Dann liegt da eine Seife mit einem sehr dezenten Blumenbouquet. Im Mund ist der Wein säuerlich und süsslich zugleich, von innen riecht er nach Melone und Honig – etwas oberflächlich allerdings, was plötzlich an Zuckerwasser denken lässt.

Ich glaube nicht, das die Pilze giftig waren, die ich gestern verzehrt habe. Ich fühlte mich gut am Morgen, meine Verdauungsorgane taten zufrieden ihren Dienst. Seit einigen Stunden aber habe ich leichte Kopfschmerzen und fühle mich etwas schummrig. Das hat zweifellos damit zu tun, dass ich heute mittag las, man dürfe Pilze auf keinen Fall in Plastiktüten transportieren – denn verminderte Luftzufuhr und Wärmeentwicklung würden schnell zu «Proteinzersetzung durch Gärung» führen. Dabei bildeten sich «Substanzen wie Putreszin, Kadaverin, Histamin, usw.» – Zersetzungsprodukte, die zu «gravierenden Vergiftungen führen.» Um solche Fragen hatte ich mich gestern nicht gekümmert – all meine Gedanken waren einzig und allein um die wahre Identität des Pilzes gekreist. Als ahnungsloser Anfänger hatte ich die Schirmlinge natürlich den ganzen Tag lang im verknoteten Plastikbeutel durchs Vigezzo-Tal getragen – bei schön sommerlichen Temperaturen. Erst machte ich mir trotzdem keine Sorgen, denn die Pilze hatten fein gerochen – und auch ihr Geschmack war gut gewesen. Doch das «Kadaverin» und das «usw.» wirkten nach – denn es ist ja gut möglich, dass man gar nicht riecht, wenn etwas mit dem Pilz nicht stimmt. Ich zumindest nicht. Und als dann die Kopfschmerzen kamen, fragte ich mich, ob das wohl die ersten Anzeichen einer «gravierenden Vergiftung» waren.

Ich ärgerte mich auch darüber, dass ich so ein elendes Greenhorn war, das nicht einmal die einfachsten Dinge wusste – und diese lieben, harmlosen Pilze mit seinem Unwissen in gefährliche Zersetzungsagenten verwandeln konnte. Ich fühlte mich schuldig und dumm.

Stunden später habe ich immer noch leichte Kopfschmerzen. Mag sein, dass ich an einer kleinen Histamin-Vergiftung leide – was verstehe ich schon davon. Doch eine «gravierenden Vergiftung» müsste wohl andere Symptome produzieren – aber auch da, was weiss ich denn. Was mich indes auch beschäftigt, ist diese fixe Idee, dass etwas mich schädigen muss, das eigentlich gut aussieht und gut riecht. Diese Angst, dass sich da etwas jenseits meiner Wahrnehmung, ja geradezu in Opposition zu ihr, ungünstig entwickeln könnte, lebensbedrohlich ungünstig sogar. Und dies auch noch wegen mir, aus eigener Schuld. Fraglos habe ich ein solches Szenario nicht aus dem Moment heraus produziert.

Als ich heute nach dem Besuch bei meiner Mutter in Riehen dem Rhein entlang in Richtung Bahnhof radelte, um nach Zürich zurückzukehren, regnete es leicht. Die Luft duftete, als sei das Wasser erst durch eine dicke Schicht Torf geträufelt – oder durch einen alten, fauligen Pilz. Gewöhnlich mag ich solche Gerüche – heute aber war ich mir plötzlich sicher, dass auch dieser Regen giftig war. Da fällt mir ein, dass ich vor ein paar Tagen schon einmal das Gefühl hatte, ich hätte mich vergiftet – an einer Snack-Gurke, die einen seltsam zuckrigen Geschmack im Mund zurückliess.

Auch die Zeit bewirkt keine Wunder an diesem Wein. Allenfalls taucht mit der Erwärmung eine leichte Bitterkeit auf und eine Note von Tabak.

PS: Ein leichtes Gefühl der Irritation beschlich mich wenig später, als ich meine Geschirr abwaschen wollte und das Wasser milchig-weiss aus dem Hahn floss. Zweifellos war die riesige Baustelle hinter meinem Haus die Ursache hierfür. Es roch nach frischem Urin, als habe ein Riese in unser Wasser gepinkelt – oder der Liebe Gott.

Getrunken am Montag, 20. Oktober 2014 in der Küche meiner Wohnung über dem Bahnhof Tiefenbrunnen in Zürich (Schweiz). Gekauft in einem Geschäft in Riquewihr (€ 9.60 im August 2014).

Nächste Flasche

Alsace Riesling Sophie et Joël Fritsch Grand Cru Schoenenbourg

AOC, 2012, 13% Vol.

100% Riesling

Weisswein aus dem Elsass (Frankreich), produziert von Sophie et Joël Fritsch, successeurs de Brechbuhler Charles in Riquewihr (auf Karte anzeigen).

First Publication: 21-10-2014

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