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Los Angeles, Getty Museum

Szene 23: Die Botschaft

Wie Hektor Maille einen lumpigen Dollar fand, auf dem «Westward Ho!» geschrieben stand, und ihm also verkündigt wurde, dass er von Kaliforniens aus direkt nach Indien reisen müsse – wobei er sich fragte, wo zwischen Los Angeles und Mumbai der Westen wohl enden und der Osten beginnen würde.


Ein Tag im Leben von Odette Sissay

14.10: Port-Louis, Rue de Prague

Im Treppenhaus kam ihr Maxi-M entgegen, der Chef des lemusischen Geheimdienstes, der eigentlich Maximilien Mercier hiess und sich wie immer, wenn er Odette begegnete, sofort die Brille aus dem Gesicht riss.
«Es tut mir leid, dass der Aufzug wieder nicht funktioniert», sagte er mit einer Stimme, in der etwas Fröhliches, fast schon eine gewisse Begeisterung mitschwang. Und als habe er vergessen, dass er eben noch dabei war, die Treppe hinunter zu rasen, ging er nun bedächtigen Schritts neben Odette die Stufen hoch.
«Kann ich Ihnen etwas abnehmen», fragte er und riss Odette fast etwas grob die tropfenden Sandaletten aus der Hand.
«Ein Wetter ist das – man weiss nie, woran man ist. Früher war das anders. Aber Marie hat sicher ein Handtuch für Sie.»
«Danke. Ich bin ganz gerne nass», sagte Odette und strich sich das Haar aus der Stirn.
«Ja, mir geht es genauso», versicherte Mercier: «Bin gerne sehr nass».
«Gibt es Neues von Hektor?»
«Ich glaube, unser Mann ist unterwegs nach Indien. Oder vielleicht war er auch schon dort. Er reist so viel herum – ich habe da keinen Überblick mehr. Ich denke allerdings, dass ich die Sache bald selbst in die Hand nehmen werde. Maille hat ganz offensichtlich nicht das nötige Format. Aber das bleibt unter uns – nicht wahr? Wie ja überhaupt alles! Sehr geheim!»
«Sie würden mich doch informieren, wenn Sie Hektor zurückbeordern – nicht? Schliesslich möchte ich für seine Rückkehr einen angemessenen Empfang vorbereiten.»
«Aber ich habe sie doch immer auf dem Laufenden gehalten – schliesslich gehören Sie ja quasi zur Familie – wenn ich das mal so sagen darf.»
«Danke. Ich finde eben auch alles wirklich interessant, was Sie hier tun. Diese Verantwortung! Diese Konzentration! Und dabei bleiben Sie immer so entspannt.»
«Wollen wir nicht wieder mal essen gehen? Ich könnte auch etwas für Sie kochen – obwohl ich natürlich neben Ihrer Sterne-Küche… Heute Abend vielleicht? Zufällig ist mir da ein Termin ausgefallen.»
«Was für eine wunderbare Gelegenheit! Wie schade, gerade heute kann ich leider nicht. Mein alter Vater… Sie verstehen.»
«Bringen Sie den alten Herrn doch einfach mit.»
«Ich fürchte, das könnte etwas schwierig werden. Auch wäre ich lieber mit Ihnen allein.»
«Vielleicht am späteren Abend, ein Schlummertrunk?»
«Sie sind sehr grosszügig, aber es ergibt sich sicher bald eine andere Gelegenheit», sagte Odette und nahm Mercier mit einer ganz kleinen Verneigung die Sandalen wieder ab.

Sie waren vor der Tür des Sekretariats angelangt. Und Mercier erinnerte sich plötzlich wieder, dass er ja eigentlich hatte aus dem Haus gehen wollen.
«Also dann, auf bald», verabschiedete er sich und schritt würdig die Treppe hinab. Ein aufmerksamer Beobachter hätte allerdings bemerken können, dass er die Hände auf etwas seltsame Weise von seinem Körper weg spreizte. Denn Mercier hasste nichts so sehr wie feuchte Hände – selbst wenn diese Feuchtigkeit von den Sandaletten einer Frau wie Odette stammte.