Szene 2

Die Vorstellung, an einem bestimmten Punkt auf diesem Planeten zu stehen, ist das Resultat von sehr verschiedenen Annahmen und eher abstrakten Konstruktionen. Der geographischen Verortung steht dabei immer eine gefühlte Verortung gegenüber, die individuell sehr verschieden ausfallen kann, was manchmal zu einigen Konfusionen führt – vor allem weil sich diese gefühlten Verortungen nicht an Längen- und Breitengrade halten, ja oft sogar die Himmelsrichtungen ignorieren. Von Marie etwa, der ersten Sekretärin des lemusischen Geheimdienstes, wusste Maille, dass sie sich Paris immer um 180 Grad gedreht vorstellen musste – also mit dem Montmartre im Süden der Stadt. Gerne hätte er vor Ort versucht, ihren inneren Kompass zu adjustieren – am besten über zwei Dutzend streng genordeten Gillardeau-Austern.

Auch im Kopf von Maille allerdings klafften das Wissen um die geographische Position und das Gefühl, an einem bestimmten Ort zu sein, oft so stark auseinander, dass er sich manchmal beinahe an zwei Orten gleichzeitig erlebte. Durch die vielen Reisen hatte sich in seiner Vorstellung ausserdem ein Bild der Welt formiert, das mit der schönen Erdenkugel aus dem Geographie-Unterricht nur wenig gemein hatte: Seine Welt war auf jeden Fall nicht völlig rund, sondern ragte eher wie eine Brust oder wie ein englischer Weihnachtspudding aus dem Weltall heraus – aus einem Universum, das für ihn eigentlich nicht mehr war als eine undurchsichtige Suppe oder aber eine übermütige Behauptung.

weiter