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Damaskus, Juden-Viertel

Szene 23

Leihen Sie Hektor Maille ihre Stimme! In Australien (Episode 11) wurden Hektor Maille zwölf herakleische Arbeiten aufgezwungen, die er allesamt erfolgreich bewältigte. Als er dann aber erfuhr, dass er von Darwin nach Damaskus reisen müsse, verschlug ihm das glatt die Sprache. Leihen Sie dem lemusischen Agenten Ihre Stimme, schreiben Sie einen Kommentar zu dieser oder einer andern Szene aus Episode 12 und senden Sie ihn an hektor.maille@gmail.com

Vergessen Sie nicht anzumerken, auf welche Szene sich Ihr Text bezieht und zeichnen Sie mit Ihrem Namen. Die Herausgeber behalten sich das Recht vor, einzelne Beiträge redaktionell zu bearbeiten oder auch ohne Angabe von Gründen auf eine Publikation zu verzichten.

«Welcome to Syria!»

Der Segen kam mit dem Sonnenuntergang. Körperliche Stärkung war wieder gestattet und Maille verfiel in ein labendes Labneh-Oliven-Röllchen-Nirwana. Als er sich schliesslich die letzten Öltropfen von den Fingern absaugte, tauchte wieder Marie vor seinem Geiste auf. Ihre Füsschen, ihr Bauchnabel, ihr Nacken…, alles eben, was sie ihm so laufend vor die Augen pfefferte. Respektive um die Ohren. Wie lautete ihre letzte Ansage nochmal? 
«Geh in die Judengasse!!» Dagegen sprach nichts. Laufen konnte er ja wieder und vielleicht käme sogar etwas dabei heraus.

Was er dort sollte, wusste er freilich nicht. Ein Judenviertel inmitten von Syriens Hauptstadt klang zwar überaus konspirationsschwanger – de facto aber war es seit Jahrzehnten verlassen und hauptsächlich von kartenspielenden Geheimdienstlern und teetrinkenden Künstlern bevölkert. Da Mailles Tag lang genug war, machte er es kurz: «Karton wo?», schrieb er an die Wand.

Der Rest hiess Warten und neuerlich ins Halbkoma Abgleiten. Bis sich Mailles feingestimmte lemusische Antennen aufstellten: Er riss die Augen auf und – blickte auf ein quadratisches Etwas mit dunklen Löchern. Der Karton-Kopf-Mann!
«Welcome to Syria!», raunte der. Maille lächelte höflich.
«Come!» Maille folgte artig. Der Karton-Kopf-Mann führte ihn zueinem alten Haus, den Staffeleien nach zu urteilen ein Künstleratelier. Im Innenhof sassen weitere Karton-Kopf-Männer und boten ihm Minztee an. Maille beschloss, sich über nichts zu wundern. Dann erzählten sie ihm die Fakten: Koslow war tatsächlich hier gewesen. Und hatte tatsächlich seine Gedanken verloren.«Ideenraub?», fragte Maille aufgeregt.Alle Kartons bewegten sich von rechts nach links: «Noooo». 
«Was dann?» Der Ober-Karton-Kopf-Mann tippte sich an die Stirn respektive Seitenwand. Da erkannte Maille das Zeichen und die Aufschrift: «Rayan» – Syriens beliebtester Arak.
«Koslow hat Arak getrunken? Obendrein zu Ramadan?» Alle Kartons bewegten sich von oben nach unten: «Yeees». Da dies denkbar unangemessen war, hatte man ihn und seinen Kopf in kühlere Gefilde geschafft: nach Patagonien.

Aha. Mailles nächste Station war also klar. Er lehnte sich zurück, und saugte schweigend mit den Karton-Kopf-Männern Minztee aus Strohhalmen. Dann wollte er es doch wissen: «Tragen Sie die Kartons wirklich zu Ihrem Schutz?» Alle Kartons hüpften auf und ab: «It is because the smell of Arak is sooo inspiring», glucksten sie und luden ihn auf eine Kartenrunde ein.

Es wurde ein sehr langer, sehr lustiger Abend – wenngleich Maille bis zuletzt nicht wusste, ob er ihn mit Künstlern, den Mukhabarat oder mit allen zusammen verbrachte.

Mona Sarkis, Damaskus, 14. Oktober 2010

Damaskus, Judenviertel.