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Port-Louis, Rue Thasard – Boucherie Seugrem

Szene 11

Auf dem Weg nach Hause fuhr Maille durch die Rue Thasard, um in der Boucherie Seugrem ein schönes Stück Fleisch für das Abendessen zu kaufen. Als er das Geschäft betrat, hängte Maître Seugrem gerade frisch blanchierte Kutteln an einem Haken auf.
«Bonjour Maître», grüsste Maille: «Was soll einer essen, der die Dinge nicht mehr recht versteht?»
«Non semper ea sunt, quae videntur», gurgelte Seugrem und rückte den schwarzweiss gestreiften Stoffschurz über seinem stattlichen Bauch zurecht.
«Horaz?», rätselte Maille.
«Phaedrus – aus den Fabeln.»
«Und was bedeutet es?»
«Eine Wurst ist nicht immer eine Wurst.»

Schon in der Schule hatte Oskar Seugrem stets alles besser gewusst – Maille hatte darauf vertraut und in Prüfungen sorgfältig abgeschrieben. Vier Jahre lang hatten sie die Schulbank geteilt, dann musste Maille allem Kopistengeschick zum Trotz ein Jahr wiederholen. Später hatte Seugrem Latein studiert und sogar eine Doktorarbeit geschrieben – über die Ursuppe in den Metamorphosen von Ovid. Irgendwann hatte er sich dann selbst verwandelt und den Doktorhut gegen eine Fleischerkappe eingetauscht – nicht etwa aus ökonomischen Gründen, sondern aus purer Passion.

Von Beginn weg gehörte Maille zu den Stammkunden der Metzgerei – und hatte es nie bereut, war die Qualität von Seugrems Produkten doch so verlässlich wie einst seine Übersetzungen aus dem «Gallischen Krieg» oder seine Lösung mathematischer Probleme. Ausserdem war Seugrem eine Art Freund und gehörte zu den wenigen Zeitgenossen, mit denen man sich auch über die dunkleren Seiten des Essens unterhalten konnte, über den Ekel etwa, die Reue oder die Gier, über das Unheimliche gewisser Konsistenzen oder die seltsame Empathie für bestimmte Meerestiere. Maille kaufte ein Pfund Kutteln – seine Köchin Odette verstand das zarte Wunderfleisch aufregend zu verkochen, mit Thymian, ein wenig Speck, Rum und zum Schluss einem guten Schuss Limettensaft (Rezept). Die Kutteln würden den Höhepunkt bilden eines Abschiedsmenus, das sich Maille an diesem Abend zu gönnen gedachte – denn wer wusste schon, was ihn in Dakar erwartete?

Fisch im Pandanus-Blatt

Menu Maille

Das ganze Menu, das sich Hektor Maille zum Auftakt seiner Mission von Odette Sissay zubereiten lässt: