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«Extra Vergine»

Dass beim Olivenöl nicht immer alles mit rechten Dingen zugeht, haben wir längst schon geahnt. Wenn man den Olivenbauern in der Toskana oder in Apulien bei der mühsamen Ernte zusieht – und dann wenig später ‹ihr› Olio extra vergine in einem Supermarkt für 4 € pro Liter im Angebot kauft, dann erlebt man da eine gewisse Dissonanz. Entweder ruinieren sich diese Bauern selbst – oder aber es stimmt sonst etwas nicht. Wie übel es im Oliven-Öl-Business zugeht, schildert Tom Mueller in seinem Buch «Extra Vergine» – auf gut 300 bildlosen Seiten.

Im Grunde ist «Extra Vergine» eine Sammlung von längeren Reportagen. Mueller reist zunächst durch Italien und besucht verschiedene Olivenbauern, Ministerien, Fabriken (Bertolli) und ehemalige Olivenölmagnaten wie Domenico Ribatti oder Ölunternehmern wie Leonardo Marseglia. Später weitet er seine Recherchen auf Kreta, Israel, Spanien, Australien und die USA aus. Er spricht mit Experten, Wissenschaftlern und Kritikern wie Alissa Mattei, Gary Beauchamp oder Lanfranco Conte. Zwischen die Reportage-Teile webt er geschickt weitere Informationen ein. Im ersten Kapitel («Oliven und das Leben») geht es vor allem auch um die Produktion von Öl, im zweiten und dritten Kapitel («Die Ölbosse», «Oliven – heilig und profan») wird die Geschichte des Olivenöls (und auch des Olivenöl-Betrugs) zum Thema. In das vierte Kapitel («Das liebliche Feuer») sind Informationen zur Chemie des Öls und zu seiner Bedeutung für die Gesundheit eingeflochten. Im fünften Kapitel («Industrielles Öl») geht es unter anderem auch um die Geschichte von Margarine und Co. Und immer wieder stellt Mueller dar, mit was für üblen Tricks in der Olivenöl-Industrie Geld gemacht wird – nicht nur auf Kosten der Qualität, sondern mitunter auch der Gesundheit.

In einer Art philosophischem Epilog beschäftigt sich der Autor mit den Unterschieden zwischen Olivenöl und Wein – unter anderem liest man da: «Trauben enthalten keinen Wein, sondern Traubensaft, der vom Winzer umgewandelt werden muss. Das Öl ist bereits in der Olive, wir müssen es ihr nur entziehen. Wein wird letztendlich vom Menschen hergestellt, Öl dagegen ist ein Produkt der Natur, durch das Medium des seltsamen Baums – so geheimnisvoll, weil es von etwas Grösserem kommt, als wir es sind. Wein ist beim Essen ein Solist, separiert in seinem glänzenden Glas. Öl dagegen dringt in die Speisen ein, verliert sich darin, doch führt dabei in allen hintergründige Veränderungen herbei. Wein wirkt stark und sofort, Öl dagegen im Verborgenen. Es bahnt sich langsam einen Weg in den Körper und verweilt in den Zellen und im Geist, wie ein Mythos.»

Ganz zum Schluss verrät uns Mueller noch, wie wir ein gutes Öl finden können – und verweist uns da an erster Stell auf eine von ihm mit verantwortete Webseite mit ausführlichen Informationen (www.extravirginity.com).

Das Buch von Tom Mueller ist die ausführlichste Auseinandersetzung mit dem Thema Olivenöl, die wir kennen. Es sensibilisiert uns für die Probleme eines wichtigen Bereichs unserer Nahrungsmittelproduktion und macht uns zu kritischen Käufern – es vermittelt aber auch die Faszination, die dieser ganz besondere Stoff provozieren kann. «Extra Vergine» ist lebendig geschrieben und liest sich leicht – auch wenn es einige Redundanzen gibt und man sich manchmal wünschen würde, das Werk wäre etwas klarer gegliedert. Schade ist nur, dass das Buch auf Fussnoten und Referenzen verzichtet – namentlich in den historischen Kapiteln wüsste man manchmal ganz gerne, woher der Autor diese oder jene Information bezogen hat.

Es gibt viele überflüssige Bücher zum Thema Olivenöl – Rezeptsammlungen und Anleitungen, wie mit Hilfe von Öl unsere Gesundheit zu verbessern sei. Viele dieser Werke sind voller Fehlinformationen und oft geprägt von mystischen Vorstellungen. Das Buch von Tom Mueller aber ist geeignet, ein wenig Klarheit in einen kulinarischen Fachbereich zu bringen, in dem Aufklärung dringend nötig ist.

Was für wirre Vorstellungen in Sachen Olivenöl kursieren, bewies im Herbst 2013 auch die Berliner Starköchin Sarah Wiener, als sie sich im Rahmen ihrer TV-Reihe «Erste Wahl» nach Kreta aufmachte, um dort bei der Familie Manolis Koutoulakis das beste Olivenöl zu finden («Arte», Ausstrahlung vom 16. September 2013, 19. 30 Uhr). Nach Aussage des Films erkennt man industriell hergestelltes Öl in erster Linie daran, dass es zentrifugiert und nicht (wie bei den Koutoulakis) gepresst wird. Bei Mueller kann man indes schon im ersten Kapitel nachlesen, dass zum Beispiel «die meisten italienischen Ölmacher, die auf Qualität setzen, […] auf Zentrifugen umgestellt haben, die nicht nur effizienter sind, sondern besseres Öl erzeugen.» Die Benutzung einer Zentrifuge dürfte also wohl kaum als Hinweis auf die industrielle Herstellung eines Öls taugen (was auch immer Sarah Wiener genau unter «industriell» versteht). Die Ironie dabei: auf der «Arte»-Webseite zur Sendung wird als einzig passende Lektüre zum Film ausgerechnet das Buch von Tom Mueller empfohlen. Offenbar aber haben sich die Macher der Sendung nicht die Mühe gemacht, das von ihnen angepriesene Werk auch zu lesen.

Doppelseite aus der Publikation

Tom Mueller: «Extra Vergine: Die erhabene und skandalöse Welt des Olivenöls». E-Book. München: Redline Verlag, 2012 [Engl. Originalausgabe: «Extra Virginity». New York: W.W. Norton & Company, 2012].

First Publication: 18-9-2013

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