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Senpuav, Maison Lara

Szene 1

Wenn ein Geheimagent einen neuen, dringenden und selbstverständlich ausserordentlich gefährlichen Auftrag erhält, dann sollte er eigentlich gerade vor einem knisternden Kaminfeuer in den Armen einer exotischen Schönheit liegen, die ihm auf Koreanisch, Russisch oder Suaheli kleine Schweinereien ins Ohr flüstert. Natürlich wird er die Geliebte, kurz bevor er die Satinlaken verlässt, noch als Doppelagentin enttarnen und ihr den 53er Dom Pérignon zu trinken geben, mit dem sie ihn bewusstlos machen wollte. Ihr Körper wird sich nochmals in aller Pracht aufbäumen, erst dann sinken ihre olivbraunen Glieder ohnmächtig in die Kissen zurück, besiegt vom Männlichen schlechthin. Kurz bevor er dann die Skihütte verlässt, um mit dem Fallschirm ins Hauptquartier zurückzukehren, wird er noch schnell eine langstielige Baccararose vor die Perlmuttnägel ihrer Füsse legen – «Baby, du warst ein prächtiges Stück, gemein aber fein.»

Auch im Leben von Hektor Maille gab es exotische Schönheiten und manchmal sogar Dom Pérignon. Ja vor zwei Jahren hatte er sich trotz leichter Höhenangst auch einmal einen Fallschirm umgeschnallt und wäre fast gesprungen. Im Moment aber sass er in seinem Garten bei Senpuav im Westen von Port-Louis, trank Tee mit einem Schuss Rum und sah einem Frosch zu, der einem Seerosenblatt entlang durch das schwarze Wasser seines Tümpels glitt. Aus dem nahen Wald drang das Zirpen kleiner Insekten und in der Luft lag der Duft des wilden Jasmin, der an der Hausmauer unter der Küche wuchs, wo sich Odette lautstark daran machte, das Abendessen vorzubereiten. Als das Telefon klingelte, wusste Maille sofort, dass es die «Abteilung» war. Er starrte in seine Tasse und es schien ihm als drehe sich die braune Flüssigkeit ungewöhnlich schnell in ihrer kleinen Keramikwanne. Ein leichter Schwindel machte sich bemerkbar und gleich darauf fühlte er Müdigkeit, die sich wie ein warmfeuchter Lappen auf seine Augenlider legte. Er liess es klingeln. Er würde später zurückrufen, vielleicht morgen erst. Nach acht Jahren im Dienst des Deuxième Bureau, wie der polizeiliche Geheimdienst auf Santa Lemusa geheimnisvoll hiess, hatte er gelernt, sich rar zu machen.