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«Lob des Schattens»

Rezension von Eva Dietrich

Hätte ein japanischer Gott die abendländische Welt erschaffen, wäre sie weder im Licht noch in der Finsternis entstanden, sondern an der Grenze zwischen beiden, dort, wo es unklar wird, ob das Licht ausgeht oder die Dunkelheit aufstrahlt. Der Japaner Tanizaki Jun'ichiro entwickelt in seinem 1933 erschienenen Essai «Lob des Schattens» eine Ästhetik, wo die Dinge aus dem Geist der Dunkelheit entstehen oder eher ausströmen. Dabei entsteht eher eine Welt kreativer Möglichkeiten an den Grenzen des Wahrnehmbaren als eine Welt der klar umgrenzten Dinge.

Japanische Esskultur ist zwar nur ein Thema unter anderen. Wenn aber seine poetische Weltsicht im zweiten Kapitel aus der Kauerperspektive traditioneller japanischer Aborte geboren wird, wie sie abseits von Tempeln wie in Kyoto oder Nara stehen, dann bekommt dies doch eine eigentümliche Note, die am Ende des Essais mit einem Rezept einen erfrischenden Schlusspunkt findet. Die alten Haiku-Dichter hätten, sozusagen über der dunklen Abortöffnung kauernd wie der Geist Gottes über der Urflut schwebend und sich romantischer Naturbetrachtung hingebend eben dort zahllose Motive für ihre Gedichte gefunden. Überzeugt davon, dass der Grundton der japanischen Küche der Schatten sei, sinniert er etwas später über die unvergleichliche Resonanz von schwarzem Lackgeschirr. Diese lasse den Blick eher über das Schwanken einer Suppe meditieren oder sich in der schwarzen Tiefe des Tellers in einem Zustand nicht narzistischer Selbstvergessenheit verlieren.

Obwohl es sein Ziel ist, zumindest in der Literatur das zu deutlich Sichtbare in die Dunkelheit zurückzustossen, bildet sein Sushi-Rezept mit Kakiblättern und Salzlachs einen erfrischend klar umrissenen Abschluss. Jun'ichiros Essai ist weder eine umfassende Ästhetik noch ein Kochbuch, beschert den Lesenden aber unvergessliche Augenblicke ungewohnter Perspektiven, wo der allmorgendliche Toilettengang zu einer der «Annehmlichkeiten des Lebens» wird, der «physiologisches Wohlgefühl» und Einsichten in die Natur der Dinge beschert.

Tanizaki Jun'ichiro: «Lob des Schattens». Zürich: Manesse Verlag, 1987.

First Publication: 11-4-2011

Modifications: 27-7-2011